von Sylke Tempel
Man muß sich die Relationen noch einmal vor Augen führen. Vor einem halben Jahr veröffentlicht ein dänisches Provinzblatt zwölf Karikaturen. Was höchstens die Kündigung einiger Abos und ein paar erboste Leserbriefe hätte provozieren dürfen, führte zu einem konzertierten Aufstand in Teilen der muslimischen Welt. Offensichtlich wurde der Konflikt angeheizt, indem auf Karikaturen Bezug genommen wurde, die gar nicht in der dänischen Zeitung veröffentlicht worden waren. Jetzt brennen Botschaften, Menschen sind ums Leben gekommen. Und der Iran droht mit einem Boykott all jener Länder, in denen die Karikaturen nachgedruckt wurden.
Geht es wirklich um den Respekt vor religiösen Gefühlen? Höchstens oberflächlich. Natürlich läßt sich trefflich darüber diskutieren, ob mit diesen Karikaturen (die die meisten Protestierenden gar nicht kennen) die Unterschiede zwischen Islam und Islamismus verwischt wurden. Ob Muslime grundsätzlich als potentielle Terroristen verunglimpft werden, wenn der Prophet Mohammed mit einer Bombe als Turban dargestellt wird. Aber das Schlüsselwort ist eben »diskutieren«, also eine Auseinandersetzung führen, ruhig in aller Schärfe – doch gewaltfrei. Wie glaubhaft ist eine Empörung, die »Respekt« einfordert und dabei selbst jede Art von Respekt über Bord wirft? Den Respekt vor fremdem Eigentum oder für die finanzielle und politische Unterstützung, die Europa, übrigens mit Dänemark als einem der großzügigsten Spender, den Palästinensern ge-währte. Es ist schon apart, wenn ausgerechnet die Palästinenser, die sich so lautstark über die Zerstörung ihrer Infrastruktur durch die Israelis beschweren, nun ohne Hemmungen europäische Einrichtungen wie das deutsche Kulturinstitut in Gasa abfackeln. Wer Respekt für religiöse Gefühle fordert, muß auch anderen Religionen Respekt erweisen. Dann sollte sich in der arabischen Öffentlichkeit endlich auch Abscheu bemerkbar machen gegen die antisemitischen Karikaturen staatlich gelenkter Medien, gegen die Titulierung von Juden als »Söhne von Affen und Schweinen« oder die massenweise Verbreitung von Machwerken wie Mein Kampf oder die Protokolle der Weisen von Zion. Im übrigen verdienen auch, sogar vor allem nicht-religiöse Werte Respekt: die Freiheit einer liberalen Demokratie, die gewaltfreie Auseinandersetzungen über widersprüchliche Auffassungen überhaupt erst ermöglicht.
Es geht beim Karikaturen-Streit nicht um eine theologische, sondern um eine politische Auseinandersetzung. Auf billigste Weise versuchen sich vor allem Syrien und der Iran in einer Retourkutsche gegen ein endlich einmal unbequem gewordenes Europa. Syrien geriet unter Druck wegen der Ermordung des libanesischen Premiers Rafik Hariri und des Ermittlungsberichts des Berliner Staatsanwalts Mehlis, in dem Teile der syrischen Regierung als Strippenzieher des Attentats ausgemacht werden. Der Iran steht wegen seines Atomprogramms am Pranger. Weder in Syrien noch im Iran sind »spontane Demonstrationen« erlaubt. Die Machthaber beider Länder führten die Kräfte vor, über die sie verfügen: einen entfesselten Mob, der dem Westen Angst einjagen soll.
Immerhin offenbaren sich zwei Lebenslügen: Die Unterscheidung zwischen »säkularen« und islamistischen Kräften ist hinfällig. Das laizistische Syrien setzt die »verletzten Gefühle der muslimischen Welt« ebenso zynisch ein, um von den eigenen Problemen abzulenken, wie die iranische Mullahkratie. Und der vorauseilende Gehorsam, den man vor allem in intellektuellen Kreisen Europas exerzierte, war für die Katz. Es ist völlig nutzlos, sich »nett zu benehmen«, darauf hinzuweisen, daß man nicht am Irakkrieg teilnimmt, die Palästinenser unterstützt oder vor der »Verunglimpfung des Islam« warnt, wenn man nur dezent darauf hinweist, daß die moderne Form des Terrors nun mal in der islamischen Welt gezüchtet wurde, die sich obendrein nur sehr ungern von der totalitären Ideologie der Dschihadisten distanziert.
Auch wenn die Gewaltaktionen wenig spontan sind, können sie eskalieren. Vor allem, wenn die westliche Welt erschrocken zurückzucken und einen Schmusekurs fahren sollte. Denn die Lehre aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts heißt, daß Appeasementpolitik kein Problem löst. Im Gegenteil. Sie stellte sich immer als Einladung an einen noch frecheren Einsatz von Gewalt und Willkür heraus.
Jeder darf sich über Karikaturen ärgern, jeder seinem Ärger zivil und friedlich Luft machen. Und weil das nur in Demokratien möglich ist, gibt es nur eine Konsequenz: Die Werte der liberalen Demokratie im Westen ebenso entschlossen zu verteidigen, wie eine Demokratisierung des Nahen Ostens voranzutreiben.
(Vgl. S. 2 und 9)