von Kilian Kirchgessner
Das Schwarz gehört hier eigentlich nicht hin. Seit kurzem erst erweitert es das Farbspektrum an der Prager Jubiläumssynagoge, deren Fassade seit der jüngsten Renovierung in üppigen Blau- und Goldtönen glänzt. Wie fremd wirken die schwarzen Kampfanzüge der beiden tschechischen Elite-Polizisten, die sich mit gepanzerter Weste, dunkler Mütze und einsatzbereiter Maschinenpistole vor dem mächtigen Eingangstor aufs Geländer lehnen. Tschechien am Tag nach dem ersten Terror-Alarm in der jüngsten Geschichte des Landes: Mit der Beschaulichkeit im vorher kaum bewachten jüdischen Viertel scheint es jetzt vorbei zu sein. Eine Zeitung will herausgefunden haben, daß die jüdische Gemeinde einem geplanten Attentat islamistischer Terroristen nur knapp entgangen sei.
Die Verwandlung Prags in eine gut gesicherte Festung spielte sich weitgehend ohne Vorwarnung ab und stellte die sprachlosen Prager zunächst einmal vor Rätsel. Plötzlich standen die schwerbewaffneten Männer einfach da, am Flughafen genauso wie an wichtigen Straßenkreuzungen und auf dem berühmten Altstädter Ring. Tagsüber mit schwarzgetönten Sonnenbrillen, nachts mit wärmenden Handschuhen. Die Erklärung zu dem martialischen Auftritt lieferte der tschechische Innenminister Ivan Langer in den Fernsehnachrichten: »Wir stehen der konkreten Gefahr eines terroristischen Anschlags gegenüber«, verkündete er und fügte den ominösen Hinweis hinzu, der Geheimdienst habe Informationen über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff abgefangen. Mehr könne er nicht sagen, aber für die Sicherheit der Bevölkerung sei selbstverständlich gesorgt.
Das jüdische Viertel in Prag und die über die ganze Stadt verstreuten Einrichtungen der Gemeinde standen von vornherein auf der Liste der gefährdeten Objekte. Ab sofort sind dort rund um die Uhr bewaffnete Polizisten stationiert. Daß sich der befürchtete Anschlag aber tatsächlich gegen die Juden richten sollte, davon war am Anfang noch keine Rede – überall anders gingen die Wachposten schließlich ebenfalls in Stellung. Aufklärung brachte erst einige Tage nach dem Großalarm die größte tschechische Zeitung Mlada fronta dnes. Der vereitelte Anschlag sei gegen die Prager Juden gerichtet gewesen, hieß es in dem Artikel, der mit sensationsheischenden Details nicht sparte: Ein Kommando arabischer Terroristen habe sich die Jubiläums-Synagoge unweit des Wenzelsplatzes als Ziel für ein blutiges Attentat ausgewählt. Während einer Feier, so die Zeitung, hätten die Extremisten in das Gebäude eindringen, die Betenden als Geiseln nehmen und schließlich das ganze Gebäude mitsamt der Gemeinde in die Luft sprengen wollen. Dieser geheime Terrorplan gehe aus einem Dossier des Geheimdienstes hervor, das ein nicht genannter Mitarbeiter der Redaktion zugespielt habe.
Seit dieser vermeintlichen Enthüllung herrscht in Prag ein großes Rätselraten. Bis heute fehlt eine Bestätigung für den Artikel, sämtliche offiziellen Stellen von der Regierung bis zur Polizeiführung hüllen sich in Schweigen. Der Geheimdienst tut alles, um möglichst eloquent nichts zu sagen. »Wir können uns zu konkreten Gerüchten nicht äußern, aber die Gefahr dauert weiter an«, schwurbelt ein Sprecher. Bei der jüdischen Gemeinde findet man zwar mehr Worte, aber auch die zeugen eher von bassem Staunen als von wirklicher Beherrschung der Situation. »Wir wußten aus offiziellen Quellen zwar, daß Prag bedroht sei«, gab der Vorsitzende Frantisek Banyai in diesen Tagen bei tschechischen Journalisten zu Protokoll, »konkretisiert hat uns das aber niemand!«
Vorsichtshalber ist auch der gemeindeeigene Wachdienst vor den Synagogen sichtbarer geworden. Selbst nach der Sommersaison sind die jüdischen Einrichtungen noch von Touristen überlaufen. Schulklassen und Bildungstouristen stauen sich vor dem zentralen Eingang zum alten jüdischen Friedhof in einer verwinkelten Seitenstraße nahe der Moldau. »Unsere Gäste fühlen sich hier sehr sicher, aber die schwerbewaffneten Polizisten machen natürlich nachdenklich«, sagt Silvie Wittmannova, die mit ihrem kleinen Prager Reisebüro organisierte Touren durch die jüdische Geschichte der Stadt anbietet.
Die wirklich wichtige Frage in diesen Tagen stellen sich die Tschechen derzeit aber ganz unabhängig von ihrer Religion: Wie bedroht ist das Land eigentlich? In dem Staat, der mit seinen zehn Millionen Einwohnern etwa so groß ist wie Bayern, hat man sich bislang sicher gefühlt. Die Anzahl der islamistischen Extremisten mit Wohnsitz in Prag halten selbst Experten für unbedeutend. Die Ausländerquote in Tschechien liegt bei weniger als drei Prozent, die meisten davon sind Slowaken, Ukrainer und Vietnamesen. Und vor allem: Aus der großen Weltpolitik hält sich Tschechien allein schon mangels Masse weitgehend heraus. Diese Unauffälligkeit allein aber scheint nicht vor Anschlägen zu schützen. »Wir sind ein Teil der euroatlantischen Zivilisation«, sagt Jan Subert vom tschechischen Geheimdienst BIS. »Deshalb können Anschläge in Prag genauso stattfinden wie etwa in London oder Madrid.«