Ziv Koren

»Gefahr macht keinen Spaß«

von Ayala Goldmann

Der Tag, an dem in einem Bus in Tel Aviv mehr als 20 Menschen starben, machte Ziv Koren weltberühmt. Am 19. Oktober 1994 explodierte in dem Bus der Linie 5 in der Dizengoff-Straße der Sprengsatz eines palästinensischen Selbstmordattentäters. Es war der erste große Anschlag der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung nach dem Oslo-Abkommen zwischen Israel und der PLO. Ziv Koren, damals 24 Jahre alt und Fotograf der israelischen Tageszeitung Jedioth Achronoth, war wenige Minuten nach der Explosion am Tatort. Seine Bilder, die verkrümmte Leichen, Blutlachen und den völlig zerbombten Bus zeigen, gingen um die Welt. Die World Photo Press Organisation zeichnete eines dieser Bilder im Jahr 2000 als eines der 200 wichtigsten Fotos der vergangenen 45 Jahre aus.
Für Ziv Koren war es der erste Anschlag, den er miterlebte – bis heute erinnert er sich an das Trauma danach. »Ich habe überall, wo ich war, nur noch Leichen vor meinen Augen gesehen«, sagt der Fotograf. Seitdem hat Ziv Koren mehr als 50 Anschläge fotografiert, fährt regelmäßig mit seinem Motorrad in die palästinensischen Gebiete und hat sich mit seinen Bildern vom Nahost-Konflikt den Ruf eines der weltweit besten Fotografen erworben.
In der Berliner Cicero-Galerie für politische Fotografie in der Rosenthaler Straße 38 wurde am vergangenen Donnerstagabend eine Ausstellung mit Bildern von Ziv Koren unter dem Motto »More than 1.000 words – No win situation in the Israeli Palestinian Conflict« eröffnet. Die fast 80 Fotografien, überwiegend aufgenommen in den Jahren 2000 bis 2006, sind noch bis zum 10. November zu sehen.
In Deutschland kennt man Ziv Koren vor allem wegen seiner Bilder in Stern und Spiegel, durch seinen Auftritt in der Talkshow »Beckmann« und den Dokumentarfilm »Der Hölle so nah« (Autor: Solo Avital, Produktion: Oliver Berben, Sohn der Schauspielerin Iris Berben), der im vergangenen Sommer in der ARD gezeigt wurde.
Trotz seiner zahlreichen Auszeichnungen scheint der israelische Fotograf frei von Starallüren. Ziv Koren ist schlank, hat warme braune Augen, trägt Jeans und schwarzes Hemd, Vollglatze und Sonnenbrille. Die Brille lässt der 37-Jährige weg, wenn er in die besetzten Gebiete fährt – aus Sorge, Palästinenser könnten ihn für einen Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes halten. Dass er sein Leben gefährdet, wenn er Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten oder Kämpfe zwischen Anhängern von Hamas und Fatah fotografiert, ist für ihn alltäglicher Bestandteil seiner Arbeit. »Diese Illusion von dem heroischen Fotografen, der sich in Gefahr bringt, die sollte man platzen lassen«, sagt Koren. »Der Grund, warum ich fotografiere, ist, dass ich die Dinge dokumentieren möchte. Manchmal gerate ich dadurch auch in Gefahr, aber das ist nicht mein Ziel, und es macht mir auch keinen Spaß. Und außerdem kehre ich am Ende des Tages zu meinem großen Glück in mein warmes und liebendes Heim in Tel Aviv zurück, während die Menschen, die ich aufgenommen habe, in ihrer Not zurückbleiben.« Als Israeli, konstatiert Koren außerdem lakonisch, müsse man nicht Fotograf sein, um sein Leben zu gefährden: »Wenn ich losgehe, um einen Anschlag zu fotografieren, rufe ich meine Frau an, um zu wissen, wo sie ist und wie es meinen Töchtern geht. Ich dokumentiere keinen Krieg, den andere führen. Ich fotografiere meinen eigenen Hinterhof.«
Ziv Korens Mission gilt vor allem den Opfern des Konflikts – egal ob Palästinenser oder Israelis, Moslems oder Juden. Einige seiner besten Fotos zeigen Überlebende politischer Gewalt: zum Beispiel die junge Frau Kineret Haya Busani mit dem völlig vernarbten Gesicht zehn Monate nach einem Anschlag auf einen Bus in Tel Aviv. Oder den Drusen Louai Meri, einen Soldaten der israelischen Armee, der bei Kämpfen an der Grenze zum Libanon zwei Beine verlor. Koren begleitete ihn fotografisch während seiner medizinischen Rehabilitation. Doch auch Zivs Fotos von palästinensischen Kindern im Schatten der Trennmauer, von nächtlichen Armeerazzien und gefangenen Palästinensern mit verbundenen Augen, von israelischen Soldaten mit vorgehaltener Waffe bewacht, sprechen für sich. Als Fotograf arbeitete Koren anfangs im Rahmen seines Wehrdienstes für die israelische Armee. Heute jedoch, nach einigen Jahren im Dienst der Agenturen Gamma und Sygma und als derzeitiger Stabsfotograf der Agentur Polaris Images, legt er großen Wert darauf, niemandes Propagandist zu sein.
Seitdem Ziv Koren verheiratet ist – seine Frau ist das israelische Model Galit Gutman – und zwei Töchter hat, versucht er, die Gefahr für sein Leben zu minimieren. Er verzichtete darauf, zum Begräbnis von Jassir Arafat zu reisen, er war seit der Machtübernahme der Hamas wie viele andere israelische Journalisten nicht mehr im Gasastreifen. Seine Frau verbot ihm ausdrücklich, im Libanon-Krieg im vergangenen Sommer an vorderster Front zu fotografieren. Als Galit Gutman den Film »Der Hölle so nah« über die Arbeit ihres Mannes sah, war sie so wütend, dass sie tagelang nicht mit ihm sprach. Ziv ist sich bewusst, dass seine Frau einen hohen Preis für seine Arbeit zahlt, obwohl sie auch stolz auf ihn ist: Zusammen mit Zivs Schwester und seinem Vater ist Galit Gutman zur Austellungseröffnung nach Berlin gereist. In dem Dokumentarfilm von Solo Avital bezeichnet sie ihren Mann allerdings als Workaholic und erklärt, sie habe sich längst damit abgefunden, in seinem Leben nicht die Nummer 1 zu sein. »Ich war schockiert, dass sie das gesagt hat, denn so etwas würde ich nicht einmal zu mir selbst sagen«, sagt Ziv Koren etwas verlegen. »Ich kann aber immer noch nicht sagen, ob sie recht hat oder nicht. Ich will nicht auf meine Arbeit verzichten, aber auch nicht auf meine Frau. Und ich hoffe, dass ich mich nie zwischen beiden entscheiden muss.«
Kriegsfotografen gelten häufig als kaputte Typen – zynisch, abgebrüht, alleinstehend oder mindestens einmal geschieden. Ziv Koren wirkt nicht kaputt – im Gegenteil, man nimmt ihm seine Mission ab, den Nahost-Konflikt und die sinnlosen Opfer, die er fordert, zu dokumentieren. Dass er durch den Tod anderer Menschen berühmt wurde – für seine Karriere war der 19. Oktober 1994 ironischerweise ein Glücksfall –, ist ihm bewusst. Die Qualität seiner Fotos und die insgesamt 16 Auszeichnungen beweisen aber, dass Ziv Koren nie der Fotograf eines einzigen Moments geblieben ist, der zufällig das Glück hatte, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.

Kultur

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