von Ingo Way
Die weltweiten anti-israelischen Demonstrationen im Gefolge des Gasakriegs überschatteten die 13. Vollversammlung des Jüdischen Weltkongresses (WJC) Anfang dieser Woche in Jerusalem. »Wir stehen zu Israel«, lautete das Motto, und das scheint auch bitter nötig zu sein, glaubte man den Berichten von Delegierten aus Großbritannien, der Türkei, Indien, Venezuela und anderen Ländern. Überall auf der Welt kam es zu aggressiven Protesten gegen Israel, bei denen das Land als Völker- und Kindermörder dämonisiert wurde, weil es sich gegen die Angriffe der Hamas zur Wehr setzte. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez forderte die Juden des Landes auf, sich von Israel zu distanzieren, berichtete der Delegierte Abraham Lewy Bushimol aus Caracas. Man fühle sich an finsterste Ostblockzeiten erinnert, als Juden vom Staat unter Druck gesetzt wurden, Petitionen gegen den »Weltzionismus« zu unterschreiben.
Besonders schockierend war der Bericht von Lina Filiba vom Verband der Juden in der Türkei über antisemitische Ausschreitungen in Istanbul und anderen türkischen Städten (vgl. Artikel auf dieser Seite). »Das ist das Ergebnis jahrelanger islamistischer Propaganda – auch von staatlicher Seite«, so Filiba.
Dass eine neue Welle des Antisemitismus über die Welt schwappt, darin waren sich die meisten Redner einig. Auch wer dafür verantwortlich ist, war weitgehend unstrittig: radikale Muslime im Bündnis mit der politischen Linken. Doch in der Frage, wie man dieser Gefahr begegnen solle, herrschte Ratlosigkeit. »Bündnisse eingehen mit allen, die vom islamistischen Terror betroffen sind: Christen, Atheisten, moderate Muslime«, lautete der Vorschlag des israelischen Likud-Führers Benjamin Netanyahu in seiner Grußbotschaft. »Die jüdisch-muslimischen Beziehungen ausbauen und den Dialog weiterführen«, schlägt Rabbi Marc Schneier vor, der Vorsitzende des amerikanischen Zweigs des WJC und Präsident der Foundation for Ethnic Understanding. Was aber, wenn der Dialog nichts bringe, wollte eine Delegierte wissen. »Bei 1,3 Milliarden Muslimen bleibt uns gar keine andere Wahl, als weiterhin den Dialog zu suchen«, antwortete Schneier.
Weitere Themen der Vollversammlung waren die atomare Bedrohung aus dem Iran und die kommende UN-Antirassismuskonferenz (»Durban II«), die islamische Staaten dazu nutzen wollen, Israel zu delegitimieren und »Islamophobie« als schlimmste Form des Rassismus zu geißeln. Damit würde letztendlich Kritik am Islam unter Strafe gestellt. Eine Resolution, die zum Boykott von »Durban II« aufruft, wurde auf der Vollversammlung ebenso diskutiert.
Doch nicht nur die große Weltpolitik stand auf der Tagesordnung. »Unsere Aufgabe ist auch 2009, den kleinen jüdischen Gemeinden zu helfen. Wir haben gesehen, welchen Problemen sie gegenüberstehen«, sagte der Italiener Kobi Benatoff, der neue Finanzdirektor des WJC, der Jüdischen Allgemeinen. »Daneben ist es wichtig, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und Einfluss auf Regierungen und auf die Vereinten Nationen zu nehmen«, so Benatoff weiter. »Ein EU-Beitritt der Türkei zum Beispiel ist bei der derzeitigen antisemitischen Stimmung und den regierungsamtlichen Äußerungen Recep Erdogans nicht akzeptabel.« Der türkische Ministerpräsident hatte gefordert, Israel aus den Vereinten Nationen auszuschließen.
Finanziell steht der WJC nach Aussage seines bisherigen Finanzdirektors Eduardo Elsztain trotz der weltweiten Finanzkrise nach wie vor gut da. Wegen der Krise hatte der WJC im vergangenen Jahr zwar 15 Prozent weniger Einnahmen als 2007. Dennoch überstiegen die Einnahmen im Jahr 2008 die Ausgaben, da diese seit 2005 durch Einsparungen um etwa die Hälfte gesunken sind. »Unsere Hilfsprojekte – vor allem für Gemeinden in Osteuropa – sind also absolut nicht gefährdet«, so Benatoff.
Auch organisatorische Fragen nahmen bei der Vollversammlung einen großen Raum ein. So wurden eine neue WJC-Verfassung verabschiedet und Wahlen abgehalten. Der alte wie neue Präsident des WJC ist der amerikanische Unternehmer und Philanthrop Ronald Lauder. Als einziger Kandidat für das Präsidentenamt wurde der 65-Jährige von den knapp 400 Delegierten aus über 80 Ländern per Akklama- tion gewählt. Der Argentinier Eduardo Elsztain ist als neuer Vorsitzender des Verwaltungsrates Nachfolger von Matthew Bronfman. Zu den neu gewählten Vizepräsidenten des WJC gehört auch die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch.
Der World Jewish Congress, gegründet 1936, fungiert als Dachverband jüdischer Organisationen weltweit. Er hat seinen Hauptsitz in New York und unterhält Büros in 100 Ländern.