Was sollte die bauliche Identität des geplanten jüdischen Staates in Palästina bestimmen? Abend- oder morgenländische Architektur? Die Kontroverse wurde in den 20er- und 30er-Jahren entschieden. In Ermangelung eines überzeugenden »hebräischen Stils« setzte sich zwanzig Jahre nach Gründung Tel Avivs 1909 die »weiße Moderne« europäischer Prägung durch. Sowohl die immigrierten Architekten aus Europa, wie auch einheimische Architekten, die ihre Ausbildung in Europa genossen hatten, machten die Mittelmeerstadt mit ihrem Entwurfsvokabular des westlichen Neuen Bauens zur weltweit einmaligen »Weißen Stadt«. Das war auch ganz im Sinn Theodor Herzls, der davon geträumt hatte, eine »bekannte Umgebung in der Fremde zu schaffen«. In seinem visionären Roman Altneuland hatte der Begründer des Zionismus den Charakter des modernen Tel Avivs erstaunlich präzise prophezeit. Herzls Romanheld ist nicht zufällig Architekt. Erst der Holocaust förderte einen »Bruch mit dem Westen«, auch in der Architektur. Der ursprünglich Berliner Architekt Erich Mendelsohn wurde jetzt zum Anwalt einer Ost-West-Synthese, die »modernste Zivilisation und älteste Kultur« baulich miteinander verknüpfte.
weltkulturerbe So ist Tel Aviv weltweit die einzige Stadt geworden, deren Mitte im Stil des »Neuen Bauens« errichtet wurde. Das urbane Zentrum der Mittelmeermetropole mit fast 4.000 Häusern im klassisch modernen Stil ist seit 2003 als UNESCO-Weltkulturerbe eingetragen. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main widmet diesem baulichen Schatz derzeit eine Ausstellung, die die Stadt Tel Aviv selbst organisiert hat. Die Schau soll auch für die überfällige, aber teure Sanierung des architektonischen Erbes werben. Nitza Szmuk, Leiterin des »Conservation Department« der Stadtverwaltung, die sich seit Jahren für den Erhalt der Weißen Stadt engagiert, ist Kuratorin der Ausstellung, .
Der schottische Stadtplaner Sir Patrick Geddes hatte 1925 mit seinem Masterplan die Grundlage für das moderne Tel Aviv gelegt. Seine Gartenstadt mit streng hierarchischem Straßennetz hat er durch zahlreiche Plätze aufgelockert. Aufgrund der Flut von Immigranten, die Tel Aviv zwischen 1930 und 1935 von 50.000 auf 120.000 Einwohner anwachsen ließ, wurde die Stadt später jedoch stark verdichtet. Die Ausstellung zeigt Geddes Plan im Modell zusammen mit historischen Filmen, Fotos, 3D-Animationen sowie den Lebensläufen der Architekten der »Weißen Stadt«. Sie muss-ten ihre in Europa erlernte Architektursprache den klimatischen Bedingungen Palästinas anpassen: Kleinere Fenster und massive Balkonbrüstungen sorgten dafür, dass die Hitze nicht ungehindert in die Häuser eindringen konnte. Das Flachdach zum Regensammeln und als Dachterrasse sowie der weiße Putz als Sonnenreflektor erwiesen sich in Palästina hingegen als ausgesprochen praktisch. Ulf Meyer
Broadway, Amsterdam Avenue, 181. Straße: Die Mitte von Wa-shington Heights. Dieses Viertel im Norden Manhattans war einst »dank« Hitler deutsch-jüdisch geprägt, vor allem ab Ende 1938, als nach der Pogromnacht die Emigration aus Deutschland anschwoll. Nach Istanbul und Tel Aviv zeigt das Jüdische Museum München in seiner Ausstellungsserie »Orte des Exils« nun Washington Heights, von seinen Bewohnern ironisch »Viertes Reich« genannt, als Zufluchtspunkt Münchner Juden. Ende 1930 lebten rund 600.000 deutschstämmige Flüchtlinge im Großraum New York. Es gab eine deutsche Infrastruktur mit deutschen Bäckereien, Cafés und Metzgern. Und es erschienen deutschsprachige jüdische Zeitungen. Nicht nur der berühmte Aufbau, der 1944 in 50 Ländern gelesen wurde, auch die Neue Volkszeitung aus New York unterrichtete ihre Leser früh schon über die Ermordung der Juden in Europa.
aufbau Die in vier Kapitel gegliederte Ausstellung beginnt chronologisch mit der Zerstörung der Münchner Hauptsynagoge im Sommer 1938. Es folgen die Gründung der deutschjüdischen Reformgemeinde Beth Hillel in der 183. Straße in Washington Heights 1940. Maßgeblich daran beteiligt waren Hermann Schülein, bis 1935 Vorstandsvorsitzender der Münchner Löwenbräu-Brauerei, und Dr. Leo Baerwald, der letzte Rabbiner der Münchner Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße. Die Ausstellung zeigt Aufbau und Entwicklung der mehrheitlich (süd-)deutsch sprechenden Gemeinde bis zu ihrem allmählichen Niedergang: Ab den 50er-Jahren zogen die sozial aufgestiegenen deutsch-jüdischen Bewohner (unter ihnen auch der junge Henry Kissinger) in bessere Wohnviertel. An ihrer Stelle kamen Puertoricaner und Immigranten aus der Dominikanischen Republik. Von den jüdischen Bewohnern blieben nur die Alten und Armen. Beth Hillel musste mangels Mitgliedschaft mit der orthodoxen Gemeinde Beth Israel fusionieren. Im Jahr 2000 schließlich wurde die Synagoge geschlossen.
Dokumentiert wird diese Geschichte anhand einer sehr überschaubaren Zahl von Fotografien, Diaprojektionen und religiösen Objekten. Mit am interessantesten ist ein Videointerview mit Eric Bloch, 1928 in München geboren, 1939 mit seinen Eltern in die USA geflohen und bis 2009 Professor für Biochemie an der New Yorker Yeshiva University. Über den Alltag und die deutschjüdische Infrastruktur in Washington Heights erfährt man in dieser reduktionistischen Schau leider kaum etwas. Alexander Kluy