Auf dem Rothschild-Boulevard gehen Pärchen spazieren, ganz in Weiß und in der Mode der 20er-Jahre gekleidet. Darsteller geben mit Darbietungen und Lesungen einen Eindruck in die Kultur und Arbeit einiger Denker und Dichter der damaligen Zeit. Vor riesigen historischen Schwarz-Weiß-Fotos posieren junge Leute und spielen unterschiedliche Alltagssituationen nach. Oldtimer fahren durch die Straßen, Kutschen nehmen Passagiere auf.
Tel Aviv feierte von Mittwochabend bis zum frühen Donnerstagmorgen der vergangenen Woche bei der »Laila Lawan« (Weiße Nacht) sich und seine Geschichte. Seit 2003 wird Tel Aviv als »Weiße Stadt« in der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes geführt. Die Küstenmetropole verfügt über ein einmaliges architektonisches Ensemble von 4.000 Bauten im Bauhaus-Stil. Seit sie diese Auszeichnung erhielt, feiert sie je-
weils im Frühsommer ein Kulturfestival. Die »Laila Lawan« dauert 24 Stunden. In diesem Jahr, im Rahmen der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen Tel Avivs an manchen Orten sogar noch etwas länger. Das vielfältige Angebot lockte Tausende Menschen auf die Plätze, Boulevards und an den Strand.
Für Kunstliebhaber hatten Museen und Galerien bis tief in die Nacht geöffnet. Bauhaus-Interessierte konnten an ausgedehnten Führungen teilnehmen. In der Fußgängerzone Nahalat Binyamin stellten Künstler ihre Arbeiten aus. An verschiedenen Plätzen der Stadt gaben Bands Live-Konzerte. Auf dem Bialik-Platz war ein Freiluft-Café im Stil der 20er-Jahre eingerichtet. Junge Israelinnen, als Zeitungsjungen verkleidet, gingen von Tisch zu Tisch und verteilten den Nachdruck der Zeitung »Ha Zwi« von 1909, dem Gründungsjahr von Tel Aviv.
Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai gab als Flötist eine Kostprobe seines musikalischen Könnens im Garten der Templerkolinie »Sarona«. Die wohl überraschendste »Performance« während des Konzertes war aber ein Heiratsantrag vor Tausenden von Menschen. Die Gefragte, eine Sängerin, war im ersten Moment offensichtlich völlig sprachlos. Nachdem sie ihre Fassung wiedergefunden hatte, erlöste sie ihren Zu-
künftigen und das gespannte Publikum mit einem »Ja«. Die beiden jungen Tel Aviver werden bald unter die Chuppa treten. Ganz in Weiß. Gundula M. Tegtmeyer
Tel Aviv