von Jonathan scheiner
Eine Flöte aus Gemshorn mag neben einem Flügel von Bach oder einer Bratsche aus dem Rokoko unwesentlich erscheinen. Aber das Blasinstrument zählt zu den wichtigsten Ankäufen, die Curt Sachs in seiner Zeit als Leiter des Musikinstrumentemuseums (1919 bis 1933) tätigte. Sie zeugt von den ausgeprägten multikulturellen Interesses eines der Gründerväter der Vergleichenden Musikwissenschaft.
Das Berliner Musikinstrumentenmuseum widmet Curt Sachs (1881 bis 1959) anläßlich seines 125jährigen Geburtstags eine Ausstellung. Doch wer war dieser Mann, der sich so sehr für Flöten aus Gemshörnern oder »Plumpen« (Kuhglocken) begeistern konnte? Einer der wichtigsten Musikwissenschaftler. In der Verleihungsurkunde der Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin von 1956 heißt es, Sachs habe die »Instrumentenkunde zu einem eigenen Zweig der Musikwissenschaft entwickelt«. Seine Systematisierung der Instrumente in vier Gruppen – Ideophone, Membranophone, Chordophone und Aerophone – wurde verbindlich. Dadurch lassen sich bis heute auch exotische Instrumente präzise charakterisieren.
1913 erschien sein »Real-Lexikon der Musikinstrumente«. Nur ein Jahr später veröffentlichte er gemeinsam mit Erich M. von Hornbostel die »Systematik der Musikinstrumente«. Bezeichnenderweise erschien das Werk nicht in einem musikologischen Fachblatt, sondern in der »Zeit- schrift für Ethnologie«. Europäische Musik war Teil der Weltmusik, lange bevor »Multikulti« zum Schlagwort wurde.
Sachs hat sich keinesfalls auf die Instrumente des Abendlandes kapriziert, sondern einen Zusammenhang zwischen Form und Klang eines Instrumentes und der Kultur der Musiker gesucht. Im Vorwort des musikologischen Traktats »Geist und Werden der Musikinstrumente« (1929) beleuchtet er die Verbindung von Instrumentenbau, Volksmusik und Kulturgeschichte. Auch in der Berliner Ausstellung wird anschaulich, warum das Musikinstrument von kulturhistorischer Bedeu- tung ist. In einem in der Ausstellung vorgeführten Lehrfilm erklärt Sachs den Unterschied zwischen dem opulenten Klang einer Rokoko-Gambe und dem »sachlichen« Ton eines zeitgenössischen Instruments. Angesichts solcher Leidenschaftlichkeit beginnt selbst ein Laie, der zunächst keinerlei Unterschied zwischen beiden Instrumenten gehört haben mag, für Vergleichende Musikwissenschaft zu schwärmen.
Auf Curt Sachs geht auch die genaue Definition der Barockmusik zurück. Bis heute verbindlich charakterisierte er damit die Merkmale einer 150 Jahre währenden Epoche der Musikgeschichte. Jüdische Musik begriff er als Musik, die »von Juden, für Juden oder als Jude« gespielt wird. Wie so oft im Werk von Sachs gibt es aber auch hierzu heftigen Widerspruch. Den Rang des Wissenschaftlers hat das allerdings nicht geschmälert. Noch heute gelten Publikationen wie »Eine Weltgeschichte des Tanzes« (1933), »Rhythmus und Tempo« (1953) oder die »Ursprünge der Musik« als Standardwerke.
Sachs kam in Berlin als Kind einer großbürgerlichen jüdischen Familie zur Welt. Er besuchte das französische Gymnasium, Berliner Dialekt war zu Hause verpönt. Nach dem Studium der Kunst- und Musikgeschichte arbeitete er zunächst am Kunstgewerbemuseum. 1908 heiratete er Irene Lewin, die Tochter eines bekannten Toxikologen. 1920 wurde Sachs zum Direktor des Musikinstrumentenmuseums ernannt. Auf die Erforschung europäischer Musik wollte er sich nie beschränken. Zeitweilig lehrte er sogar in Kairo. Wegweisend wurde auch das von ihm herausgegebene Sammelwerk »2000 Jahre Musik auf der Schallplatte«, mit Tonbeispielen, die die Musikgeschichte der letzten zwei Jahrtausende klanglich erfahrbar machen. Ein Kapitel ist der Jüdischen Musik gewidmet. Zu hören sind »Kaddisch am Osterfest«, »Aboda am Versöhnungstag« und »Vorlesung aus dem Buch Esther«, vorgetragen von Kantor B. Fränkel. Auch im Pariser Exil 1935 hat Sachs die Publikation von Tonbeispielen fortgesetzt.
Curt Sachs verlor seinen Posten als Museumsdirektor schon am 30. September 1933. Seinen Dienst versah er bis zum Ende korrekt. Wie so viele fühlte er sich vor allem als Deutscher, den eine gängige Nazi-Parole »Wenn der Jude Deutsch spricht, dann lügt er«, bis ins Mark traf. Eine fast lebenslange, nicht nur wissenschaftliche Auseinandersetzung lieferte er sich mit seinem Kollegen Hans Joachim Moser, der sich in seinem 1935 erschienenen »Musiklexikon« als antisemitischer Hetzer hervorgetan hatte. Nach 1945 zierte sich Moser jedoch nicht, den ehemaligen jüdischen Kollegen um einen »Persilschein« zu bitten. Wie Sachs zu seinem Moser stand, ist in einem Brief überliefert: »Erinnern Sie sich daran, daß (so weit ich weiß) Sie der erste waren, der den jüdischen Komponisten einen gelben Stern anheftete in ihrer ›Geschichte der Deutschen Musik’? Ich hätte da übrigens gar nichts dagegen gehabt, weil ich stolz darauf bin, ein Jude zu sein«.
»Curt Sachs. Berlin, Paris, New York – Wege der Musikwissenschaft«. Musikinstrumenten-Museum Berlin, bis 30. September.
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