»Fußballstadien
meide ich«
Bruno Bitter über Antisemitismus, Alltag und die Unruhen in Budapest
Herr Bitter, wer steckt hinter den gewaltsamen Unruhen der vergangenen Wochen in Budapest?
bitter: Man muß zunächst unterscheiden: Es gab Tausende, die friedlich demonstrierten. Und dann waren da Gruppen und Individuen, die die Lage für ihre Zwecke ausnutzen. Es sieht mehr und mehr so aus, daß die Gewalt von einer kleinen Gruppe Rechtsextremer ausging, die sich mit bekannten Fußballhooligans verbündet hatten.
Gab es auch antisemitische Untertöne?
bitter: Definitiv. Am auffälligsten war die Fahne der Pfeilkreuzler, einer Organisation, die beim Mord an den ungarischen Juden im Zweiten Weltkrieg eng mit den Nazis zusammenarbeitete. Dann gab es eine Petition, in der Sprüche wie »Ungarn den Ungarn« auftauchten, wohinter üblicherweise antijüdische (und antikapitalistische) Affekte stecken. Immerhin: Gestürmt wurden der Rundfunk und Büros der regierenden Sozialisten, aber keine jüdischen Institutionen. Derlei Angriffe haben wir, anders als in Frankreich, Belgien oder Großbritannien, bei uns nicht.
Wie verbreitet ist der Antisemitismus in Ungarn allgemein?
bitter: Alle Parlamentsparteien haben sich gegen den Antisemitismus ausgesprochen, auch nach einigem Zögern die konservative Oppositionspartei Fidesz-MPSZ. Offen antisemitische und faschistische Parteien sind politische Randerscheinungen. Aber Wahlen sind das eine und Vorurteile das andere. Antijüdische Affekte existieren, ja blühen in Ungarn. Eine Umfrage in den neunziger Jahren hat ergeben, daß schon damals acht Prozent der Bevölkerung extrem antisemitisch waren und weitere 17 Prozent zumindest viele antijüdische Vorurteile pflegten.
Begegnen Sie persönlich auch Antisemitismus im Alltag?
bitter: Als Chefredakteur einer jüdischen Website bekomme ich natürlich gelegentlich Haß-Mails. Ansonsten begegnet mir im Alltag kein Antisemitismus. Allerdings tue ich auch mein Bestes, ihm nicht zu begegnen. Ich trage keine Kippa auf dem Kopf, keinen Davidstern um den Hals und meide Orte, von denen ich weiß, daß dort der Judenhaß blüht – Fußballstadien beispielsweise.
Mit dem Chefredakteur der ungarischen Website www.judapest.org sprach
Michael Wuliger.