von Schimon Staszewski
Die gegenwärtige Auseinandersetzung um eine Lockerung des Embryonenschutzgesetzes, mit dem Ziel, die Gewinnung neuer embryonaler Stammzellen in Deutschland zu ermöglichen, zeigt, wie notwendig es ist, die medizinethische und rechtliche Diskussion fortzuführen und dabei auch Positionen des jüdischen Religionsgesetzes, der Halacha, aufzuzeigen.
Embryonale Stammzellen werden nach den ersten Teilungen von künstlich befruchteten Eizellen (In-vitro-Fertilisation), die nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden, gewonnen. Diese »Präembryonen« sind mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar und haben außerhalb einer Gebärmutter keine Überlebenschance.
Die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland definiert diese Präembryonen als menschliches Leben und garantiert ihnen den gesetzlichen Schutz, den jeder Mensch in Anspruch nehmen kann. Ausnahmen werden nur durch die Zulassung bestimmter schwangerschaftsverhütender Maßnahmen wie der Spirale, der sogenannten »Pille danach« und den Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch gemacht.
Da bei der Gewinnung von embryonalen Stammzellen die Präembryonen zerstört werden, ist die Erzeugung neuer embryonaler Stammzellen in Deutschland untersagt. Nach jüdischem Gesetz dürfen Präembryonen nur im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation zur Behandlung von Infertilität (Unfruchtbarkeit) erzeugt werden. Andere Motive sind mit der Halacha nicht vereinbar.
Ausschlaggebend für diese Entscheidung war, dass die jüdischen Gelehrten sich schon immer in vielen Schriften ausführlich mit Fragen von Unfruchtbarkeit und dem Leid betroffener Frauen auseinandergesetzt haben. Dabei war man sich über das Ausmaß der Problematik vollständig bewusst. Es war allen klar, dass durch die Erlaubnis zur Herstellung von Embryonen außerhalb des Körpers einer Frau die Tür für weitere ethische Konflikte weit aufgestoßen wurde. Die bei der In-vitro-Fertilisation geschaffenen Embryonen gelten aber, und darauf kommt es an, noch nicht als menschliches Leben. Sie können sich erst zum menschlichen Leben entwickeln, sofern sie einer Frau eingepflanzt werden. Hier genießen sie auch einen umfassenden Schutz, der nur bei Gefahr für Leben und Gesundheit der Mutter eingeschränkt wird. Nur im Körper der Frau kann sich ein Mensch entwickeln, mit allen Rechten und Pflichten.
Konsequenterweise ist es nicht verboten, übrig gebliebene Embryonen, die keiner Frau eingepflanzt werden und auf jeden Fall früher oder später absterben, im Reagenzglas oder in einer Petrischale aufzubewahren und zu medizinischen Forschungs- zwecken oder zur Gewinnung menschlicher Stammzellen zu verwenden, mit dem alleinigen Ziel, Menschen zukünftig von Krankheiten heilen zu können und Leben zu retten.
Diese Einschränkung ist wichtig und notwendig, da
die Prä-embryonen eben potenzielles menschliches Leben darstellen und nicht einfach für irgendwelche Zwecke als Ver- suchsobjekte verwendet werden dürfen.
Aus diesen Gründen muss man auch allen Versuchen entgegentreten, die Unverständnis darüber äußern, dass eine Religion wie die jüdische, bei der die Rettung von Leben eine solch überragende Bedeutung hat, die Gewinnung von embryonalen Stammzellen erlaubt.
Der wesentliche Unterschied zwischen der Gesetzeslage in Deutschland und der Halacha besteht in der Definition beziehungsweise den unterschiedlichen Auffassungen vom Beginn menschlichen Lebens.
Während nämlich in der christlich geprägten Sichtweise die Befruchtung einer Eizelle als entscheidender Zeitpunkt angesehen wird, wird nach jüdischem Gesetz der Mensch erst durch seinen ersten Atemzug zum vollwertigen Menschen. Die Schwangerschaft wird als Prozess zum Menschwerden verstanden, wobei aber die Embryonen einen weitgehenden Schutz genießen. Hingegen sollen Embryonen in der Petrischale, die sonst einfach absterben würden, zur Rettung von Menschenleben eingesetzt werden können.