von Daniela Breitbart
Rabbiner Aryeh Sufrin muss nicht lange nachdenken. Befragt nach den Anfängen von »Drugsline Chabad«, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: »Es war eine Marktlücke.« Damals, im Jahre 1991, sei für Menschen mit Drogenproblemen nichts oder zu wenig getan worden, erzählt der Rabbiner. Deshalb habe er »Drugsline Chabad« gegründet.
Am Anfang war es nicht mehr als ein Kriseninterventionstelefon, eine Art Hotline für Abhängige oder deren Angehörige. Heute ist das Drogentelefon zwar immer noch das Herzstück der Initiative. Doch die Mitarbeiter von »Drugsline Chabad« tun mehr. Sie hören zu, klären auf und geben Anstöße für ein drogenfreies Leben. Sie organisieren öffentliche Gesprächsrunden und Ausstellungen, gehen in Jugendclubs, Gefängnisse und vor allem: in Schulen.
Drogenaufklärungsprogramme sind zwar mittlerweile Pflichtbestandteil im Unterricht an den staatlichen Schulen. Dennoch gibt es für die »Drugsliner« immer noch etwas zu tun. »Wir haben ein einzigartiges Erziehungsprogramm entwickelt«, erklärt Sufrin nicht ohne Stolz.
Zehn Angestellte und 62 Freiwillige arbeiten für die Organisation, die ihren Sitz in Redbridge hat, professionelle Seelsorger, Schulabgänger, Anwälte und Arbeitslose, »und alle sind mit vollem Herzen bei der Sache«, freut sich Chavi, Sufrins Tochter, die die Arbeit der Freiwilligen koordiniert. Diese werden in sechs- und zwölfwöchigen Kursen intensiv geschult, bevor sie in der telefonischen Beratung eingesetzt werden. Aber auch danach nehmen sie konsequent an Fortbildungen teil. »Das Wichtigste, das es zu lernen gibt, ist das aktive Zuhören«, sagt Chavi. Sie selber lässt sich auch für Telefondienste einteilen und liebt diese Arbeit: »Kein Tag ist wie der andere, kein Anruf ist wie der andere, und auch wenn das Telefon nicht klingelt, ist es wichtig, da zu sein für den Fall, dass jemand dich braucht.«
Eine der größten Herausforderungen ist die Finanzierung des Projekts. »Darüber sind mir schon viele Haare grau geworden oder ausgefallen«, sagt Rabbiner Sufrin und lacht. »Drugsline Chabad« lebt von Sponsoren und etwas staatlicher Unterstützung. Ohne die vielen Freiwilligen wäre die Arbeit nicht möglich. Pläne für die Zukunft gibt es viele: ein eigenes Drogenberatungszentrum, ein eigenes Rehabilitationszentrum und eine »7/24«-Beratungshotline, das heißt: Rund-um-die-Uhr-Prä- senz an sieben Tagen der Woche.
Obwohl orthodoxer Rabbiner, hatte Sufrin nicht nur das Wohl jüdischer Suchtopfer im Sinn. Er wollte ganz bewusst eine Anlaufstelle für alle Menschen schaffen, egal welchen Alters, welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe und welcher Religion. »Juden sollten mit gutem Beispiel vorangehen und helfen«, begründet er seinen Einsatz. »So haben wir schon viele Mauern eingerissen.«
Als er mit seiner Arbeit begann, stieß er auf viel Unverständnis und Misstrauen. Gerade in der jüdischen Gemeinschaft, beklagt der Rabbiner, habe man nicht wahrhaben wollen, dass es Suchtprobleme bei Juden überhaupt gibt. Viele hätten seine Motive in Frage gestellt. Ein Chabad-Rabbiner, der gegen Drogenmissbrauch kämpft? Bis heute arbeitet der 48-jährige Sufrin daran, mit Vorurteilen aufzuräumen. Und freut sich, wenn seine Arbeit anerkannt wird: »In diesem Jahr bin ich wegen meiner Verdienste um Drugsline zur Gartenparty der Queen eingeladen worden«, erzählt Sufrin mit einem Schmunzeln.
Auch wenn seine Drogenberatung bewusst ohne jeden religiösen Einschlag auskommt – »Ich dränge das niemandem auf« –, sind es doch die jüdischen Werte, die den Rabbiner zu seiner Arbeit motivieren. »Sucht und Abhängigkeit bedeuten, dass der Mensch die Kontrolle über sein Leben an bestimmte Substanzen abgegeben hat, statt sein Leben eigenverantwortlich zu bestimmen, wie es das Judentum verlangt«, sagt Sufrin. »Dadurch ist in seinem Leben kein Platz mehr für die Anerkennung Gottes und ein Leben nach den Gesetzen der Tora. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass er die Kontrolle wieder zurückerlangt.«
ww.drugsline.org