Noch zwei Wochen bis Schawuot! Wir befinden uns mitten in der Omerzeit. Seit dem zweiten Tag von Pessach wird gezählt, am Dienstag war bereits »Lag BaOmer«, der 33. Tag des Omer.
Schawuot ist als Fest ohne »eigenes« Kalenderdatum über die Omerzählung mit Pessach verbunden. Dem Fest der Freiheit folgt nach einer entsprechenden Vorbereitungszeit der Feiertag, an dem an die Grundlage für ein freies Leben ohne Chaos erinnert wird: das Fest der Toragebung »Matan Tora«. An Pessach erhält das jüdische Volk die Freiheit aus der Sklaverei und an Schawuot die Tora am Sinai aus den »Händen« Gottes. Die Freiheit ist Voraussetzung für den Erhalt der Tora, und diese zugleich Garant für ein Leben in einer gerechten Gesellschaft.
Soweit decken sich klassische und moderne Interpretation. In der Tora selbst ist Schawuot jedoch nicht das Fest der Offenbarung, sondern ein Fest mit landwirtschaftlichem Charakter. Es ist vor allem mit dem Tempelritus verbunden. Gleichwohl – auch wenn es das Jerusalemer Heiligtum nicht mehr gibt – setzen wir die Tradition der Omerzählung fort.
Was ist Omer? Eigentlich eine Maßeinheit für Getreide und annähernd mit »Scheffel« zu übersetzen. In das metrische System übersetzt, würde man heute von zwei »Litern« Getreide sprechen.
Die Tora sagt Folgendes über die Omerzählung: »Und ihr sollt zählen vom Tag nach der Feier an, von dem Tage, an dem ihr das Omer der Schwingung dargebracht habt, sieben volle Wochen. Bis zum nächsten Tage nach der siebten Woche sollt ihr 50 Tage zählen und dem Ewigen ein Speiseopfer vom Neuen darbringen.« (3. Buch Moses 23, 15-16). An anderer Stelle heißt es: »Sieben Wochen sollst du zählen, wenn die Sichel anhebt in der Saat, sollst du beginnen, sieben Wochen zu zählen« (5. Buch Moses 16,9).
Der landwirtschaftliche Charakter wird hier klar und noch etwas anderes deutlich: Die Zählung der 49 Tage begann früher offenbar mit dem Tag, an dem ein Omer von der neuen Ernte im Heiligtum geschwungen wurde. Im Talmud wird im Traktat Menachot (66a) eingehend über die erste und zweite zitierte Torastelle diskutiert. Dort heißt es, dass die Anweisung »50 Tage sollt ihr zählen« und »sieben Wochen sollst du zählen« den Schluss zulassen, »es sei Gebot, sowohl die Tage, als auch die Wochen zu zählen«. Die Differenz aus sieben Wochen und 50 Tagen erklärt der Talmud so: »Sieben volle Wochen ergeben sich nur dann, wenn man mit der Zählung am Abend beginnt«.
Die Verbindung der Getreideernte und der Darbringung der vorgeschriebenen Opfer lässt auch erkennen, dass die Omerzeit eine fröhliche Zeit war. Das Einbringen der Gerste und der Genuss der ersten Früchte eigener Arbeit lassen Stolz aufkommen, die Sorge um den Ertrag schwindet. Doch auch nach der Zerstörung des Tempels wurde weiterhin Omer gezählt und ein anderer Aspekt dieser Zeit und des Schawuotfestes trat in den Vordergrund.
Einem Midrasch zufolge liegt die Bedeutung des Zählens nicht nur in der Erinnerung an die Darbringung des Opfers, vielmehr in der Verbindung des Pessachfestes mit Schawuot. Dem Midrasch zufolgte sagt Moses den Kindern Israels: »Ihr werdet Gott auf diesem Berge dienen.« Daraufhin fragen sie: »Wann wird dies geschehen?« Und Moses entgegnet: »Nach 50 Tagen.« Von da an habe jeder begonnen, die 50 Tage zu zählen.
Wann aus der Omerzeit eine Zeit der Trauer wurde, ist tatsächlich nicht bekannt, jedoch gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Man verweist auf die talmudische Erzählung des Todes der Schüler von Rabbi Akiwa. Später kamen andere Ereignisse hinzu. So wurden in diesen Wochen die deutschen Juden Opfer der nach Israel ziehenden Kreuzfahrer während der Zeit der Kreuzzüge 1096 bis 1099. Auch der Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 fällt in diese Zeit.
Die Omerperiode hatte also schon seit der Zerstörung des Tempels mehr als nur ihre buchstäbliche Bedeutung. Ganz gleich, ob man nun den landwirtschaftlichen oder geistigen Aspekt des Wochenfestes betrachtet. So wird in der Tora auch darauf hingewiesen, dass die Mizwa zur Omerzählung weder örtlich noch zeitlich begrenzt ist. Es ist vielmehr ein Gebot »für alle Zeiten, an allen Orten, an denen ihr wohnt«.