Herr Fischer, vor 51 Jahren sind die ersten sterblichen Überreste von Opfern des KZ-Außenlagers Lieberose gefunden worden und 1971 weitere 577. Jetzt weihte Rabbiner Menachem H. Klein ihr Grab (siehe Meldung). Warum hat das so lange gedauert?
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen verweisen erst kürzlich aufgetauchte Dokumente darauf, dass bei der Exhumierung 1971 nicht alle sterblichen Überreste aus der Kiesgrube entfernt wurden. Zum anderen herrschte lange Zeit in der DDR eine Ignoranz gegenüber der Schoa, und es be-
stand keinerlei Interesse, eine jüdische Institution von den Funden zu informieren. Man hat in Lieberose zwar ein großes Mahnmal aufgestellt und angeblich die Gebeine gegen alle Gepflogenheit feuerbestattet, aber den Fund für eigene Interessen instrumentalisiert. Zum anderen gab es von 1945 bis 1947 ein sowjetisches Speziallager am gleichen Ort, und daran wollte man nicht so gern erinnert werden.
Wie müssen wir uns die Würde dieses Ortes heute vorstellen?
Die Kiesgrube, in der die Kranken, die bei der Auflösung des Lagers Anfang 1945 nicht mehr marschfähig waren, ermordet und verscharrt wurden, blieb unverändert. Die Sohle, in der 1971 die Exhumierungen stattfanden, wurde genau vermessen. Hier ist die Erde um 20 Zentimeter erhöht, so dass der Ort als große Grabfläche erkennbar und umzäunt ist, wie es sich für ei-
nen jüdischen Friedhof gehört. Und er ist als solcher gekennzeichnet. Tafeln informieren über die Geschichte des Lagers Lieberose und erklären, wie man sich an diesem Ort angemessen verhält.
Welchen Platz wird dieser Friedhof in der deutschen Erinnerungskultur einnehmen?
Es gibt bislang kein Gesamtkonzept, weil uns einfach viele Suchergebnisse noch fehlen. Wir wollen auch nichts vorschreiben oder diktieren. Wichtig ist uns vielmehr, die Bevölkerung in die Erinnerungsarbeit mit einzubeziehen. Wir haben eine Open-Air-Ausstellung und die Flächen des Gedenkens. Auf Informationsveranstaltungen, bei denen die Stiftung der Brandenburgischen Gedenkstätten und der Zentralrat der Ju-
den über die Grabungen informiert haben, sind wir jetzt auf viel Aufmerksamkeit und Betroffenheit der Bevölkerung vor Ort ge-
stoßen. Die Nachdenklichkeit dieser Menschen hat uns beeindruckt und bestätigt. Die Suche hat heute eine ganz andere Beachtung gefunden, als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Damals erfuhren wir viel mehr Ablehnungen und Desinteresse. Gedenkorte und deren Ausgestaltung müssen in einem Prozess auch unter Beteiligung der Angehörigen, die es in Ungarn und Polen sicher noch gibt, entwickelt werden. Das hindert uns aber nicht, auch die jüdischen Gemeinden einzubinden, die sich in der Nähe befinden, wie etwa Cottbus, und gemeinsam mit ihnen diesen Gedenkort zu gestalten.
Noch hat man nicht alle Opfer gefunden, auch die Toten des sogenannten Schonungsblocks im benachbarten Jamlitz sind bei Nachforschungen im April und Mai nicht entdeckt worden. Werden Sie weiter suchen?
Da es sich um den wohl größten Tatort der Schoa außerhalb der großen KZ-Lager handelt, ist bereits entschieden, die Suche weiter fortzusetzen. Denn bei der jüngsten Grabung haben wir die Fundamentpflöcke gefunden, sodass wir erst jetzt das tatsächliche Areal der Baracken kennen, die dort ge-
standen haben. An den Rand dieses Kernbereichs waren wir bereits vorgedrungen, den inneren Bereich aber konnten wir nicht erschließen. Hier müssen wieder Eigentums-
rechte abgeklärt und Genehmigungen eingeholt werden. Wir haben jedoch die Zusage vom brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm, dass die Landesregierung die Bemühungen fortsetzen und uns unterstützen wird, dieses Gelände zu ergründen, auf dem unzweifelhaft der Mord stattfand. Das ist blutgetränkter Boden.
In welchen Zeitdimensionen denken Sie?
Wir arbeiten bereits seit 1992 an der Lö-
sung und werden weiter einen langen Atem brauchen. Die Grabungen werden baldmöglichst weitergeführt. Damit werden sich aber auch noch künftige Generationen befassen müssen.
Mit dem Gedenkstättenbeauftragten des Zentralrats der Juden sprach Heide Sobotka.