Wir befinden uns derzeit in der Omer-
Periode. Worum geht es in dieser Zeit?
Dies war ursprünglich eine Zeit der Freude, in der man die erste Getreideernte einfuhr und Opfer darbrachte. Das Omer ist eine Feldgarbe. Doch nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels änderte sich der Cha-rakter in eine Trauerperiode. Denn in diesen Wochen haben sich viele tragische Er-
eignisse der jüdischen Geschichte zugetragen: Vertreibungen, Ritualmord-Anklagen, Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes, Ausbruch der Pest unter den Schülern des Rabbi Akiva und schließlich dessen Er-
mordung.
Steht auch Lag BaOmer in diesem Zu-
sammenhang?
Ja, ›Lag‹ bedeutet 33. Und am 33. Tag der Omerzeit endete die Pest. So wird an diesem Tag die Trauerperiode unterbrochen. Es dürfen Dinge getan werden, die in der Omer-Zeit sonst verboten sind: Haarschneiden, Musikhören, Tanzen, Hochzeiten feiern.
Was ist das Omer-Zählen?
49 Tage nach Pessach findet das Schawuotfest statt. Pessach ist die Befreiung aus der Sklaverei und Schawuot die endgültige Befreiung, durch den Erhalt der Tora am Berg Sinai. Es ist eine Mizwa, diese Tage – verbunden mit einem Segensspruch – jeweils abends zu zählen. Dies hat Parallelen in der christlichen Liturgie, wo Pfings-
ten, also Pentecoste, 50 Tage nach Ostern gefeiert wird. Die jüdische Tradition wurde von den Christen übernommen.
Die Trauerriten zu Omer beziehen sich auf Ereignisse vor hunderten oder tausenden Jahren. Was ist davon heute noch aktuell?
Wir lesen in der Pessach-Haggada, dass wir den Auszug aus Ägypten so feiern sollen, als hätten wir das Ereignis selbst erlebt. Und wirklich haben wir ja in der nachfolgenden Geschichte die Befreiung aus der Sklaverei und Verfolgung immer wieder am eigenen Leib erfahren. Dass wir heute als Juden – gerade in Deutschland – frei leben können, ist etwas ganz Besonderes. Nach Ostern ist uns Juden immer viel Schlechtes widerfahren. Denken Sie nur an die vielen Anfeindungen wegen der Lüge, wir Juden würden die Mazzot mit Christenblut backen. Und diese Legende lebt weiter. Das ist nichts Gestriges, das ist immer noch in den Köpfen der Menschen. Es ist sehr präsent, auch und gerade nach der Schoa.
War das Motivation, ein Buch über das Ju-
dentum zu schreiben?
Ich habe es gemeinsam mit Ulrich Michael Lohse verfasst – auch für jüdische Leser. Aber im Hinblick auf nichtjüdische Leser meine ich, dass Wissen die Menschen toleranter macht. Wissen baut Vorurteile ab. Ein Phänomen des Judenhasses ist doch, dass manche Menschen, die keine Juden kennen, den Juden gegenüber besonders feindlich eingestellt sind. Insofern war es uns wichtig, Informationen zu vermitteln. Nicht nur einfache Begriffe, sondern auch etwas komplexere Hintergründe.
Gibt es auch Juden, die, wie der Buchtitel andeutet, » ...sich nicht zu fragen wagten«?
Die gibt es. Und dabei hatten wir nicht nur die russischsprachigen Zuwanderer im Blick. Die möchte ich ausdrücklich in Schutz nehmen, denn sie haben 70 Jahre Sowjetunion erlebt, wo jegliche Religionsausübung verboten war. Auch unter den sogenannten »Alteingesessenen« gibt es je-
ne, die erschreckend wenig Ahnung vom Judentum haben.
Und dagegen wollten Sie etwas tun, ob-wohl Sie kein Rabbiner, sondern Neurologe und Psychiater sind?
Ja, denn ich lebe das Judentum jeden Tag, mit meiner Frau und meiner Familie. Zu-
dem bin ich ehrenamtlicher Vorbeter der Hamburger Gemeinde und Referent für jü-
dische Geschichte und Religion. Ulrich Mi-
chael Lohse ist von Beruf Zahnarzt, er war lange Gabbai unserer Synagoge. Wir hatten gemeinsam die Idee für dieses Buch. Wir wollten ein Glossar zusammenstellen, kein Lesebuch, sondern ein Buch, in dem die Begriffe und Grundlagen des Judentums erläutert werden, kurz und lesbar.
Mit dem Autor sprach Detlef David Kauschke.