Herr Gutmark, Sie beteiligen sich als jüdische Gemeinde Wiesbaden an den Jubiläumsveranstaltungen zum Mauerfall vor 20 Jahren. Warum?
Wir sind ein Teil der Bevölkerung in Wiesbaden geworden und kommunizieren ständig mit der nichtjüdischen Gesellschaft. Auch wenn wir nicht traditionell an solchen Veranstaltungen mitarbeiten, so wollen wir uns dennoch positionieren. Auch wenn wir einen Konflikt zwischen dem 9. November der »Kristallnacht« und des Mauerfalls se-
hen und die Frage aufkommt, was Vorrang hat. Deswegen haben wir uns auf Anfrage hin bereit erklärt, uns als Gemeinde in der hessischen Landeshauptstadt zu beteiligen, wenn die Veranstaltungen nicht am 9. No-
vember stattfinden.
Zwei Jubiläen hintereinander. Im vergangenen Jahr erinnerten wir uns an 70 Jahre »Kristallnacht«. In diesem an 20 Jahre Mauerfall. Haben Sie Angst, dass die »Kristallnacht« Gefahr läuft, vergessen zu werden?
Ich befürchte das durchaus. Ich sehe, dass da so eine Art von Konkurrenz aufkommt, zumal das Datum der »Kristallnacht« mit negativen Erinnerungen und der Mauerfall mit positiven besetzt ist und man sich natürlich lieber an das Schöne erinnert. Aber auch schon vor dem Mauerfall konnte man erkennen, dass die »Kristallnacht« als belastend empfunden wird und am liebsten verdrängt wird. Und jetzt kommt ein Da-
tum hinzu, das in seiner Konsequenz leichter zu ertragen ist, weil es positive Vorzeichen hat. Das hat man natürlich lieber.
Was kann man dagegen unternehmen?
Es war unser Wunsch, und wir haben das auch deutlich gegenüber der Landesregierung betont, dass es da keine Überschneidungen geben darf. Deswegen finden in Hessen die Veranstaltungen auch am 6. und 7. November statt. Kommunal, in Wies-
baden wird ähnlich verfahren. Wir können nicht verhindern, dass die Bevölkerung ihre Verantwortung anders trägt und der Erinnerung an den Mauerfall eine andere Priorität gibt. Ich persönlich werde mich immer dafür einsetzen, dass niemals zeitgleich beider Ereignisse gedacht wird. Deswegen haben wir in diesem Jahr so darauf gepocht, den Termin vorzuziehen, sonst würden wir nicht mitmachen.
Wie beteiligen Sie sich an den Veranstaltungen zum Mauerfall?
Wir sind noch nicht konkret in die Vorbereitung eingestiegen. Wir haben zunächst einmal nur zugesagt. Wir möchten aber gern einen Vortrag anbieten, der uns den Aufbau des jüdischen Lebens direkt nach der Wende nahebringt. Wir haben dabei an den Vorsitzenden der Thüringer Landesgemeinde Erfurt, Wolfgang Nossen, gedacht, der die Geschichte aus eigenem Erleben kennt. Aber noch haben wir keine Zusage erhalten. Wenn er Zeit hat, würden wir ihn gern nach Wiesbaden einladen, uns im Rahmen der Veranstaltungen zum Mauerfall von seinem Erfahrungen berichten zu lassen. Ich denke, so erhält man eine authentische Einschätzung der damaligen Lage.
Gab es denn eine Zusammenarbeit der jüdischen Gemeinden in Hessen und Thüringen während der Teilung?
Wir wussten im Landesverband der jüdischen Gemeinde Hessens zwar, dass es Bemühungen in der Zusammenarbeit gab, aber wir haben unsererseits keinen Druck gemacht, diese zu forcieren. Es war nur immer die Option, wenn es möglich wäre, eine Kommunikation herzustellen, dann würden wir uns beteiligen. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass wirklich etwas Konkretes daraus geworden ist.
Mit dem Vorstandsmitglied der Jüdischen Ge-
meinde Wiesbaden sprach Heide Sobotka.