Von Simon Grünewald
Gleich zu Anfang stolpert man über Adolf Hitler. Wortwörtlich. Wie der Eisbärfellläufer in dem TV-Silvester-Evergreen Dinner for One liegt hier Hitlers Haut zu unseren Füßen aufgespannt, sein ergrauen- des Haupt dem Besucher entgegengereckt. »Nazijäger-Zimmer« nennt der israelische Künstler Boaz Arad die Installation. Die imaginären Nazijäger sind in des Künstlers Fantasie Hitler »ans Fell gegangen«. Verwirrt bleibt man stehen, mit unterschiedlichen Gefühlen von Lachen bis Ekel konfrontiert, die allesamt nicht zu den erlernten Holocaust-Erinnerungsritualen passen wollen. Sind wir eingeladen, Hitler mit Füßen zu treten? Doch der Naziführer hat einen leidenden Gesichtsausdruck und ergrauendes Haar. Hat er sich nicht 1945 umgebracht, hat er versteckt überlebt und ist gar unentdeckt noch unter uns? Erschreckt starrt man auch auf das Silikonreplikat der Haut und denkt unwillkürlich an die Lampenschirme, die die Nazis aus menschlicher Haut herstellten. Es bleibt ein Nachgeschmack von schalen Witzen und Verwirrung.
Das Nazijägerzimmer ist ein Teil von Boaz Arads Schau Vooz, Vooz, die das Tel Aviver Zentrum für zeitgenössische Kunst CCA (Center for Contemporary Art at the Rachel & Israel Pollak Gallery) noch bis zum 7. April in der Kallischerstraße 5 zeigt. Vooz, Vooz, benannt nach einem israelischen Slangausdruck für jiddisch sprechende askenasische Juden, besteht aus Video-Projektionen, Objekten wie dem Hitlerfell, Ölgemälden von Hakenkreuzen und Fotos kitschiger Wohnzimmerdekorationen – eine Mischung, die verschiedene Aspekte israelischer Identität beleuchten will. Das ritualisierte Schoa-Gedenken wird ebenso sarkastisch kommentiert wie die kulturellen Konkurrenzkämpfe zwischen sefardischen und askenasischen Israelis. Vor allem die provokative und sarkastische Herangehensweise an das Thema Nazis und Holocaust ist in den vergangenen Jahren zu einem Kernmotiv der zeitgenössischen israelischen Kunst geworden.
Zusätzlichen Reiz erhalten Arads Exponate dadurch, dass sie sich die Räume des CCA mit der Ausstellung »40 Jahre Deutsche Videokunst« teilen. In einer kleinen Lounge präsentiert das Tel Aviver Goethe-Institut 12 Stunden selten gezeigter deutscher Videokunst von 1963 bis zur Gegenwart. An Computerterminals kann man sich die Arbeiten aussuchen, die einen am meisten interessieren. Eine von ihnen, Joseph Beuys’ Filz-tv von 1970, schlägt wie Arads Installation den Bogen zu der Zeit des Zweiten Weltkrieges, wenn auch aus anderer, eben deutscher Perspektive. Beuys verwandte in seinem Schaffen immer wieder Fett und Filz, Materialien, die mit seinen Kriegserinnerungen verbunden waren. Der ehemalige Pilot von Görings Luftwaffe war mit seinem Flugzeug über der Sowjetunion abgestürzt. In seinen Erinnerungen schreibt er: »Die Tartaren waren es, die mich nach meinem Absturz im Schnee gefunden haben, als die Deutschen die Suche schon aufgegeben hatten. Sie schmierten meinem Körper in Fett ein, um die Wärme zu regenerieren und wickelten mich in Filz ein, um die Wärme zu isolieren.« In Filz-TV symbolisiert eine fette Blutwurst die Körperenergie. Die Mattscheibe des TV-Geräts als Symbol der neuen Massenmedien ist in dem Video mit Filz beklebt. Der Künstler benutzt die Wurst wie ein Arzt ein Stethoskop verwendet: Er untersucht den Fernseher und beginnt dann, vor dem Gerät sitzend, auf sein eigenes Gesicht einzuboxen. Diese »Kunstaktion« kommentierte Beuys so: »Der Zuschauer ist wichtiger. Wie er sich verhält, ist wichtiger, als was aus dem Gerät kommt.«
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