»Mit einem jungen Mann, der bei uns in der Gemeinde Bundesfreiwilligendienst (BFD) leistete, fing alles an«, sagt Elisabeth Schlesinger, ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Oldenburg. Die Gemeinde habe so gute Erfahrungen mit dem »Bufdi« gemacht, dass mittlerweile vier bei ihnen im Einsatz sind. Das könnte sich aber in Zukunft ändern: Der Entwurf des Bundeshaushalts sieht für die nächsten zwei Jahre enorme Kürzungen für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und den BFD vor. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), auch Träger des BFD, kritisiert diesen Entwurf. Aktuell leisten circa 370 BFDler »ihren Beitrag für ein aktives und vielfältiges jüdisches Gemeindeleben«, so die ZWST. Wir haben uns bei Freiwilligen umgehört.
Elena Meliksetyan (63), Kiel
Vor eineinhalb Jahren wurde ich gefragt, ob ich mich als BFDlerin in der Jüdischen Gemeinde Kiel und Region engagieren wollen würde. Ich sagte sofort zu, denn ich möchte etwas Sinnvolles tun. Seitdem bin ich 22 Stunden pro Woche im Einsatz. Die BFD-Aufwandsentschädigung beträgt 250 Euro pro Monat. Dank dieser Arbeit habe ich das Gefühl, einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen und gebraucht zu werden. Meine Tätigkeit würde ich als Sozialarbeit beschreiben. Unsere Gemeinde betreut viele ukrainische Geflüchtete, die nach Kiel gekommen sind, und ich kümmere mich um sie. Wir gehen zusammen die Papiere durch oder unternehmen etwas gemeinsam. Ebenfalls leite ich einen Literaturkreis – eigentlich bin ich promovierte Philologin. In Georgien wurde ich geboren, bis vor 20 Jahren habe ich in Russland gelebt. Darüber hinaus bieten wir in der Gemeinde viele interkulturelle Veranstaltungen, Tage der offenen Tür, Workshops, Musikabende, gesellschaftliche Runden, Podiumsdiskussionen, Themenabende rund um jüdisches Leben und vieles mehr an. Und ich helfe dabei, all diese breite Palette von Veranstaltungen zu organisieren und durchzuführen. Ich freue mich jeden Tag auf meine Arbeit.
Nina Markmann (22), Düsseldorf
Nach dem Abitur wollte ich Medizin studieren, bekam aber erst einmal keinen Platz. Also absolvierte ich ein Pflegepraktikum, bei dem ich einen FSJler kennenlernte. Die Idee, ein FSJ in einer Klinik zu machen, gefiel mir so gut, dass ich mich beim Deutschen Roten Kreuz um einen Platz bewarb. In dem neuen Krankenhaus war ich wieder in der Pflege tätig und lernte dabei viel. Zwischendurch war ich als Pflegerin in der Kardiologie eingeteilt. Es berührte mich, Patienten zu erleben, die mehrere Monate lang stationär aufgenommen waren, nun entlassen werden konnten und vor Glück strahlten. Ich habe Ärzte bei ihrer Arbeit beobachtet, viel über die Pflege und über den Alltag in einer Klinik gelernt. Mittlerweile studiere ich Medizin und hoffe, irgendwann in der Allgemeinmedizin tätig sein zu können – aber an mein FSJ denke ich immer gern zurück.
Svetlana Satalova (67), Köln
Ich bin nun zum zweiten Mal als BFDlerin im Begegnungszentrum Chorweiler der Synagogengemeinde Köln beschäftigt. Das erste Mal arbeitete ich dort vor acht Jahren. Nun bin ich in Rente und möchte nicht auf dem Sofa Däumchen drehen, sondern mich nützlich machen. Das tut mir gut. Salopp gesagt, bin ich Mädchen für alles. Ich nehme die Anrufe entgegen, beantworte Fragen, checke die Mails, bereite das Frühstück vor, übersetze Artikel für das Gemeindeblatt oder rücke Fotos zurecht. Bei der Arbeit habe ich keine freie Minute – und ich freue mich jeden Tag auf sie. In der Umgebung von Chorweiler leben mehr als 1000 Familien mit Migrationshintergrund. Wir sind ein interkulturelles Zentrum, das nicht nur von Juden aufgesucht wird. Wir bieten neben Beratungen auch Kurse und andere Veranstaltungen an. In meiner Heimat in Russland war ich Musiklehrerin und später Bibliotheksleiterin. In Deutschland konnte ich nur kleinere Jobs annehmen.
Mikhailo Bilenkiy (70), Berlin
An diesem Donnerstagnachmittag werde ich eine über 90-jährige Dame, deren Ehemann vor Kurzem gestorben ist, besuchen. Wir gehen spazieren, einkaufen und lösen Kreuzworträtsel – sie kann sagen, worauf sie Lust hat, und ich werde sie dabei unterstützen. Mir ist es wichtig, dass ich beschäftigt bin – und es gibt einen großen Bedarf an Begleitung älterer Gemeindemitglieder. Dies fällt in meinen Aufgabenbereich bei der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Ich bin 1995 aus Charkiw in der Ukraine nach Deutschland gekommen und fand damals hier noch eine Arbeit. Deshalb beziehe ich eine kleine Rente und das BFD-Taschengeld. Aber für mich ist noch mehr entscheidend, eine Aufgabe zu haben und etwas gebraucht zu werden.
Maya Rayzner (69), Stuttgart
Fast vier Jahre war ich bereits ehrenamtlich bei Bikkur Cholim der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs aktiv, dann bot sich mir die Möglichkeit, als BFDlerin engagiert zu werden. So kann ich meine Arbeit weiterführen. Wir besuchen Kranke in den Kliniken und zu Hause, kümmern uns um Anmeldungen für OP-Termine, helfen bei Entlassungen aus dem Krankenhaus. Ebenso bauen wir Infostände über Bikkur Cholim bei allen möglichen Veranstaltungen auf. Jüngst haben wir eine Notfallkarte entwickelt, sodass bei einem Unfall die Helfer sofort die Daten auf Deutsch haben und jemanden informieren können. Ich komme aus der Ukraine und lebe seit 1998 in Deutschland. Bis zu meiner Rente habe ich als Buchhalterin gearbeitet. Mit dem BFD habe ich neue Herausforderungen gefunden, die ich sehr schätze.
Ron Gutharc (18), Bremen
Die ersten zwölf Monate meines Bundesfreiwilligendienstes gefielen mir so gut, dass ich sie um sechs Monate verlängert habe. Nach der Schule wusste ich nicht, was ich beruflich machen sollte. Dann erinnerte ich mich an die jüdische Kita in Bremen, die ich als Kind besucht hatte, und fragte nach, ob ich mich da engagieren könnte. So konnte ich anfangen. Und was soll ich sagen, es ist eine tolle Erfahrung. Was ich auch mag, sind die Weiterbildungsseminare, die ich regelmäßig in verschiedenen Städten in Deutschland besuche. Dadurch lerne ich ebenfalls viel. Was mich ebenfalls glücklich macht, ist, dass die Eltern mir mitgeteilt haben, dass ihre Kinder nun besser Deutsch können, seitdem ich da bin. Denn da ich kein Russisch spreche, sind alle gezwungen, Deutsch zu reden, wenn sie sich mit mir unterhalten wollen. Wenn meine Zeit hier vorbei ist, möchte ich eine Ausbildung zum Erzieher oder Kinderpfleger absolvieren. Der BFD war aus der Not heraus geboren – und hat mich immens weitergebracht. Ich kann es nur weiterempfehlen.
Sofia Karabinskaya (68), Oldenburg
Ich begleite geflüchtete Frauen aus der Ukraine, die über keine deutschen Sprachkenntnisse verfügen. Zusammen suchen wir Behörden auf, gehen mit zu Gesprächsterminen in die Schule, die ihre Kinder besuchen, und zu Elternabenden. Wenn sie nach Deutschland kommen, brauchen sie jemanden, der über das Leben in diesem Land Bescheid weiß. Und man braucht es ebenfalls, mit jemandem sprechen zu können, der Ähnliches erlebt hat. Ich erinnere mich auch noch gut an meine erste Zeit in Deutschland, als ich 2004 mit meinem Mann die Sowjetunion in Richtung Oldenburg verließ. In meinem Heimatland arbeitete ich als Hydrologin in Sibirien. Zu meiner Tätigkeit als Bufdi kam ich zufällig, als eine Freundin aus der Gemeinde mich anfragte. Das ist nun über ein Jahr her. Es ist wichtig für die Gemeinde, sich um die Geflüchteten zu kümmern. Und die Arbeit ist auch wichtig für mich, denn ich möchte nicht nur draußen sein und andere Menschen beobachten, sondern aktiv sein.
Aufgezeichnet von Christine Schmitt