von Tobias Kühn
Von wegen Frühling! »Es herrscht Eiszeit«, schrieb eine italienische Zeitung vergangene Woche. Denn seit Aschermittwoch ist alles vorbei: Die italienische Rabbinervereinigung hat den Dialog mit der katholischen Kirche abgebrochen. Roms Oberrabbiner Riccardo Di Segni spricht von einem »Rückschritt von 43 Jahren«.
Was ist geschehen? Im vergangenen Juli hatte der Vatikan angekündigt, die Tridentinische Messe wieder zuzulassen. Die war 1970 im Ergebnis des Zweiten Vatikanischen Konzils wegen antijüdischer Passagen verboten worden. Denn der alte Ritus in der Karfreitagsliturgie enthält eine Fürbitte um die Bekehrung der Juden: »Lasst uns beten auch für die Juden, dass unser Gott und Herr den Schleier von ihren Herzen nehme, damit auch sie Jesus Christus, unseren Herrn, erkennen.«
Nach Protesten von Rabbinern und jüdischen Organisationen hatte der Vatikan im Herbst angekündigt, das Gebet zu revidieren. Der Text werde die Juden zufriedenstellen, war aus dem Kirchenstaat zu hören. Pünktlich zu Beginn der Passionszeit ließ Papst Benedikt XVI. vergangene Woche die neue Version der »Karfreitagsfürbitte für die Juden« bekannt geben. Demnach soll nicht mehr »für die Bekehrung der Juden« gebetet werden, sondern nur noch »für die Juden, auf dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen«.
Seit diese Worte bekannt sind, machen sich in der jüdischen Gemeinschaft Ärger, Befremden und Enttäuschung breit. Lediglich »kosmetische Korrekturen« habe der Papst vorgenommen, kommentierte Roms Oberrabbiner Di Segni die Neufassung des Gebets. David Rosen, Direktor für interreligiöse Angelegenheiten im American Jewish Committee, sieht sich »verletzt«. Der im Vatikan hoch geschätzte Dialogpartner bezweifelt inzwischen, dass die Bemühungen der vergangenen Jahrzehnte eine theologische Annäherung gebracht haben. Dem Vernehmen nach soll sogar das Wort »Betrug« gefallen sein. In den USA berieten Anfang der Woche Vertreter der konservativen und der Reformbewegung darüber, ob sie eine Resolution gegen das neue Gebet erlassen sollen.
Auch hierzulande hat die päpstliche Entscheidung Zweifel und Verärgerung ausgelöst. »Ich hoffe, dass es nicht die Intention ist, die andere Seite zu missionieren. Ich hoffe, dass ich das falsch verstanden habe«, sagte der Sprecher der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland, der Kölner Rabbiner Netanel Teitelbaum. Von einer »krassen Ohrfeige, einer Missachtung des jüdischen Selbstverständnisses«, spricht der frühere Landesrabbiner von Württemberg, Joel Berger.
Der Vatikan verteidigte indes die neue Karfreitagsfürbitte gegen jüdische Kritik. Kurienkardinal Walter Kasper betonte, die Textpassage enthalte keine Aufforderung zur Bekehrung. Sie äußere lediglich eine »Hoffnung und nicht den Vorsatz«, unter Juden Mission zu treiben. Von jüdischer Seite heißt es, Kaspers Argumentation sei »völlig unsinnig«. Allein die Tatsache, dass man die Hoffnung habe, wird als irritierend empfunden. Kardinal Kasper wiederum vermisst Respekt. »Ich verstehe nicht, warum die Juden nicht akzeptieren, dass wir bei der Formulierung der Gebete unsere Freiheit nutzen«, sagte er in einem Gespräch mit der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera. »Ihre Freiheit können sie nutzen, wie sie wollen«, entgegnet Rabbiner Joel Berger, »nur sollen sie dabei nicht unser Existenzrecht torpedieren.«
Auch christliche Experten äußern sich befremdet über den neuen Gebetstext. Rainer Kampling, Judaist und Professor für katholische Theologie an der Freien Universität Berlin, hält die Formulierung »für sehr unglücklich«, denn sie beschreibe ein vermeintliches Defizit. »Anders als sein Vorgänger bringt es dieser Papst nicht fertig, zu formulieren, dass die Juden ihren eigenen Heilsweg haben«, konstatiert Heinz-Günther Schöttler, Professor für Pastoraltheologie an der Universität Bamberg und Mitglied im Gesprächskreis »Juden und Chris- ten« beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Die neue Formulierung sei Ausdruck einer neuen Position des Vatikans gegenüber dem Judentum. Eiszeit also.