von Aharon Arend
Welchen Feiertag kann ein Jude ganz unbeschwert begehen? Ganz bestimmt Tu Bischwat. Denn an diesem Tag gibt es kein Fasten und keine Bußgebete, niemand muss Mazza oder Hamantaschen essen. Was essen wir stattdessen? Die Früchte, mit denen Eretz Israel gesegnet ist: Datteln, Johannisbrot, Mandeln und Ähnliches. Obwohl der Verzehr dieser Speisen erst in den vergangenen Jahrhunderten Brauch wurde, achtet das Volk Israel so gewissenhaft auf seine Einhaltung, als handelte es sich um ein Gesetz der Tora. Viel wurde über diesen Feiertag geschrieben. Hier will ich einen kurzen Überblick über die zeitgenössische rabbinische Literatur geben und darüber, was sie zum Charakter von Tu Bischwat beiträgt.
Einer der Weisen von Jerusalem, Rabbi Mordechai Hacohen, verfasste kurz nach der Staatsgründung ein Gebet. Das Oberrabbinat Israels legte später fest, dass dieses »Gebet des Pflanzers für Tu Bischwat« jedes Jahr gesprochen werden sollte. In ihm geht es unter anderem um die Idee des Krieges gegen die Wüste (Bäume pflanzen, wo vorher nichts wuchs), um den Segen für die blühenden Bäume, unsere Verbindung mit dem Land Israel und die Hoffnung, dass Gott die Früchte des Landes segnen wird. Hier einige Passagen aus dem Gebet: »O Herr, wie zahlreich sind Deine Werke / Mit Weisheit hast Du sie alle gemacht ... Möge es Dein Wille sein, dass dieses Pflanzjahr für uns erfolgreich beginnt ... und an dem Tag, an dem wir uns der Stecklinge erinnern, mögest Du Dich Deines Volkes, des Hauses Israel, mit Wohlwollen und Segen erinnern, und die Hände all unserer Brüder, die die Erde unseres Landes zieren, seien gesegnet ... Gesegnet sei der Schöpfer guter Dinge und guter Bäume, die den Menschen nutzen.”
In Beer Schewa versammelten sich die Bürger an einem Ort, der »Eshel Avraham« (die Tamariske Abrahams) genannt wurde. Dort las ihnen der Rabbiner dieses Gebet von einem Pergament vor. Pinchas Peli, der Sohn von Rabbi Mordechai Hacohen, schrieb über dieses Gebet, es sei »zu lang, und wenn es längerfristig überleben soll, wird man es sicherlich kürzen, obwohl seine Hauptmotive bewahrt werden sollten”. Leider hat sich der Brauch, dieses einzigartige Gebet zu rezitieren – als Ganzes oder in Teilen – nicht durchgesetzt.
Ein unbekannter Kabbalist des 17. Jahrhunderts aus Safed nannte ein Kapitel seines Buchs Hemdat Yamim »Pri Etz Hadar« (Die Frucht des edlen Baumes) und widmete es dem Seder von Tu Bischwat. Der Verfasser sammelte biblische Passagen und Ausschnitte aus der Mischna und dem Sohar, in denen es um Bäume und ihr Wachstum geht. Sinn und Zweck dieser Zusammenstellung war, dass die Texte beim Verzehr der entsprechenden Tu Bischwat-Früchte laut vorgelesen wurden. Viele Gemeinden im Orient übernahmen den Brauch dieses Seder. In den letzten Jahren erschien eine Anzahl neuer Sedarim. Eine ist eine zeitgenössischen Ausgabe des Werkes Pri Etz Hadar. Darin ist auch ein Abschnitt mit dem Titel »Anweisungen für das Pflanzen von Obstbäumen” enthalten, denn seit Ende des vorigen Jahrhunderts wird Tu Bischwat als Fest des Bäumepflanzens betrachtet. Weil es Seder Tu Bischwat heißt, ist auch eine Reihe von Büchern erschienen, die eine Rezitation von Texten nach dem Muster des Pessach-Seders vorschlagen. Darauf beruht die folgende Fassung der »Ma Nischtana” für Tu Bischwat, die von Nogah Hareuveni von Neot Kedumum verfasst wurde (1979): »Warum ist der Seder der Nacht von Tu Bischwat anders als der Seder der Pessachnacht? Weil wir am Pessach-Seder Mazze (ungesäuertes Brot) essen, in dieser Nacht aber nur Früchte. Beim Pessach-Seder trinken wir Wein jeglicher Farbe, in dieser Nacht Weiß- und Rotwein. Am Pessach-Seder erzählen wir vom Auszug aus Ägypten. In dieser Nacht sprechen wir von den Früchten der Bäume.”
Im Zusammenhang mit Tu Bischwat ist in den vergangenen Jahren eine große Zahl von gesammelten Werken von Halacha, Brauchtum, Exegese, Dichtung und Erzählung erschienen. Die wichtigste davon ist Tehilla Ledavid von D. A. Mandelbaum (Jerusalem 1993). Er erzählt darin, wie der verstorbene Lubawitscher Rebbe, Rabbi Menachem Mendel Schneerson, 1991, am Höhepunkt des Golfkriegs, seine Anhänger anwies, an Tu Bischwat Johannisbrot zu essen. Denn dies sei das Nahrungsmittel gewesen, das Rabbi Chanina ben Dosa zu sich nahm, der sich aufs Wunderwirken verstand. So dürften auch wir erwarten, dass Gott für uns ein Wunder geschehen lässt. Mandelbaum ergänzte: »Jemand, der den Verlauf des Kriegs im Detail studiert, wird feststellen, dass alle ernsthaften Schäden im Heiligen Land vor Tu Bischwat angerichtet wurden; nach Tu Bischwat kam es nicht mehr zu schlimmen Zerstörungen.”
Autoren, die der Mussar-Bewegung angehören, entdecken in dem Feiertag eine Fülle an erzieherischen Ideen. Rabbi M. Avidan schreibt in seinem Buch Mireshit Hashana Ve’ad Acharit Hashana, Tu Bischwat sei die richtige Zeit dafür, dass der Mensch die Wunder der Natur betrachtet und über sie nachdenkt und so zu der Erkenntnis gelangt: »O Herr, wie zahlreich sind Deine Werke / Mit Weisheit hast Du sie alle gemacht!”
Ein weiteres Beispiel liefert Rabbi Shick, ein Braslaver Chassid, der sich unter dem Titel Kuntres Tu Bischwat (Jerusalem, 1990) der Frage widmet, welche moralische Lehre sich aus dem Vergleich zwischen Mensch und Baum ziehen lässt: »So wie jeder einzelne Baum ... Nahrung und Leben durch die Wurzeln empfängt und nicht von einem anderen Baum ernährt und versorgt werden kann ... genauso musst du selbst zu der Erkenntnis gelangen, dass jeder Mensch eine Welt für sich ist und jeder von Ihm, dem Geheiligten, ernährt wird in der größten Verschwiegenheit ... und dann wird jeder Einzelne in seinem Leben am glücklichsten sein, weil er niemanden beneidet und den Misserfolgen oder Erfolgen von anderen keine Beachtung schenkt.”
Israel importiert eine große Menge Obst aus dem Ausland: Paradoxerweise verzehren diejenigen, die Tu Bischwat durch den Genuss der Früchte des Landes von Eretz Israel feiern wollen, oft genau solches Obst, das irgendwo anders angebaut wurde. Angesichts des großen Werts, der auf den Verzehr der Früchte von Eretz Israel gelegt wird, wurde kommentiert: »Der Verzehr von Trockenfrüchten, die aus Griechenland, der Türkei oder Spanien importiert wurden, an Tu Bischwat hat keinerlei Bedeutung.” Zu der Frage, welche Arten von Früchten gegessen werden sollten, schrieb Rabbi S. Aviner (Am K’lavi), man solle versuchen, Früchte zu erwerben, für die es normalerweise während des Jahres keine Gelegenheit gibt, sie zu essen.
Zwei Faktoren tragen zum Charakter jüdischer Feiertage bei: die schöpferischen Menschen – Rabbiner, Kommentatoren, Autoren, Komponisten und Künstler – und diejenigen, die ihre Schöpfungen weiterverbreiten – Eltern, Lehrer und die verschiedenen Kommunikationsmedien. Ich hoffe, dieser Überblick wird helfen, die zeitgenössische Toraliteratur, die Tu
Bischwat behandelt und somit auch mit darüber entscheidet, wie wir diesen Feiertag begehen, zu verbreiten.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fakultät für Jüdische Studien der Bar-Ilan- Universität, Ramat-Gan/Israel
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