von Thomas Nagel
Die Fragen sind immer die gleichen: »Wo liegen die Unterschiede zwischen jüdischer und christlicher Religion?« – »Warum ist der Schabbat am Samstag?« – »Warten Sie noch auf den Messias?« – »Wie sehen Sie uns Christen?« Gisela Naomi Blume steht in der Fürther Synagoge und kommt kaum dazu, ihr angekündigtes Programm abzuspulen. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 1000-jährigen Bestehen der fränkischen Stadt läuft gerade »Die lange Nacht der Religionen«, eine Art Tag der offenen Tür in Fürther Kirchen, der Moschee und eben auch in der Synagoge.
Blume, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Fürth, entschuldigt sich, dass nicht jeder alles mitbekommen kann. »Mit so viel Andrang haben wir nicht gerechnet«, sagt sie immer wieder. Bis in den Hof der Synagoge stehen die Besucher und recken die Hälse. Sie wollen wissen, was man als Jude so glaubt, wie die Gottesdienste ablaufen und wie sie selbst als Christen denn gesehen werden. Immer wieder arbeitet Blume diesen immergleichen Fragenkatalog ab. Das große Interesse scheint Erschöpfung, Ungeduld oder schlicht Heiserkeit für diesen Abend aus dem Repertoire der hageren, zerbrechlich wirkenden Frau zu verbannen.
Der Andrang scheint aber auch ein Bild von Fürth zu bestätigen, das besonders im Jahr des 1000-jährigen Stadtjubiläums vor allem von den Stadtoberen gern tradiert wird: Die »Verhältnisse« in Fürth seien »freiheitlicher, liberaler und toleranter« gewesen »als in irgendeiner anderen Stadt in Bayern«, steht im Vorspann des Programms der »Langen Nacht der Religionen«. Gisela Naomi Blume will da nur zustimmen: »Fürth ist ein spezieller Platz mit sehr viel Licht und wenig Schatten gewesen und ist es auch heute noch. Seit Jahren ist hier nichts Bösartiges passiert.«
War Fürth für die Juden eine Insel der Freiheit und Toleranz, ein »Fränkisches Jerusalem«, wie es eine TV-Dokumentation 1986 darstellte? Daniela F. Eisenstein tut sich schwer mit so viel Euphorie. »Das Wunschbild von Offenheit und Toleranz wird auf die jüdische Geschichte gepfropft«, sagt die Direktorin des Jüdischen Museums Franken. Sie hatte den Auftrag, zur Tausendjahrfeier der Stadt »Highlights der jüdischen Geschichte« zu präsentieren. Herausgekommen ist die Ausstellung »Fürth. Das fränkische Jerusalem«, die Ende April eröffnet wurde. Sie soll, so Eisenstein, »beide Seiten der Medaille« zeigen. Es beginne schon mit der Bezeichnung »Jerusalem«. Die wurde als Ehrentitel genauso verwendet wie als Schimpfwort. Der Beiname »Bayrisches Jerusalem« geht auf den Satiriker M.G. Saphir zurück, der damit im 19. Jahrhundert die orthodoxen Juden in Fürth verspottete. Erst die Fernsehdokumentation tauschte die Konnotation und drehte die Bedeutung ins Positive.
»Was hier stattgefunden hat, ist typisch für viele Orte in Deutschland in den 80er Jahren«, kommentiert Eisenstein. Damals haben Hobbyforscher minutiös die jüdische Geschichte in ihrer Heimat erforscht. Was fehlt, sind die Einordnung in den gesamthistorischen Kontext und die Verknüpfung mit der NS-Geschichte. »Nur die Opfer haben Namen, die Täter nicht«, sagt die Museumsdirektorin. Die Schoa mute in dieser Sichtweise wie eine Naturkatastrophe an: »Es herrscht Toleranz und« – Eisenstein schnippt mit den Fingern« – »1933 hört sie plötzlich auf.«
Die Ausstellung im jüdischen Museum vermittelt ein anderes Bild. Tatsächlich war Fürth vom 16. bis ins 19. Jahrhundert das religiöse Zentrum jüdischen Lebens in Süddeutschland. Zeitweise gab es mehr Synagogen als Kirchen. Doch die »Toleranz« war erkauft. Ein Silberpokal und 20 Goldgulden dokumentieren: Die Ansiedlung der aus den Reichsstädten vertriebenen Juden passte perfekt ins Machtkalkül der drei Mächte Bamberg, Nürnberg und Ansbach, die damals den Marktflecken beherrschten. Besonders die Domprobstei Bamberg und der Markgraf von Ansbach taten sich bei der Ansiedlung von wohlhabenden Juden gegen hohe Schutzgelder hervor. Mit der reichsweiten Gleichstellung nahm die jüdische Bevölkerung an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teil. Aber schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden antisemitische Ressentiments immer lauter. Eine Grußpostkarte von der Fürther Kirchweih aus der Zeit um 1900 zeigt einen Bettler neben einem »reichen Juden« – ein antisemitisches Stereotyp. Darüber steht die Redewendung »Alles da. Dalles da« (Dalles, jiddisch für »Armut«). Eine weitere Postkarte, im Jahr 1925 an einen jüdischen Maßschneider gerichtet, ist mit Hakenkreuzen beschmiert. In einer der Vitrinen der Ausstellung liegt ein Gelber Stern, Zeichen der Ausgrenzung. Den hatten während der Naziherrschaft auch die Juden in Fürth zu tragen.
Der Schwenk in die Gegenwart konfrontiert den Besucher mit der Frage »Wo liegen die Grenzen der Toleranz?«. Im vergangenen Jahr wurden während des Festakts zur Hundertjahrfeier des Berolzheimerianums, Fürths erstem Volksbildungs- heim, antisemitische Verse rezitiert. Im Kontrast zum Geiz des Juden im Gedicht sollte die Großzügigkeit des jüdischen Stifters Heinrich Berolzheimer besonders hervorgehoben werden. Nach der Entschuldigung der Veranstalter fand keine weitere Diskussion statt.
»Wir leben hier im Paradies«, sagt Gisela Naomi Blume in der »Langen Nacht der Religionen«. Doch über dem Eingang zur Synagoge hängt eine Überwachungskamera, und wer an einem Gottesdienstbesuch interessiert ist, möge sich bitte vorher anmelden, sagt die Gemeindevorsit- zende, denn man müsse vorsichtig sein. Vielleicht ist Fürth doch nur eine ganz normale Stadt in Deutschland.
Die Ausstellung »Fürth. Das fränkische Jerusalem« im Jüdischen Museum Fürth, Königstraße 89, ist bis zum 2. September zu sehen, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, dienstags bis 20 Uhr. Führungen gibt es jeden ersten Sonntag im Monat um 14 Uhr oder nach telefonischer Anmeldung unter 0911/ 77 05 77.
www.juedisches-museum.org