von Lisa Borgemeister
Laute Jubelrufe hallen durch das Kellergeschoß der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main. Immer neue Besuchergruppen strömen durch die Eingangstür in den langen Flur. Es ist ein Sonntag im September. Das neue Schuljahr beginnt und gleichzeitig auch ein neues Jahr im Jugendzentrum. »Hey – Schalom!« ruft ein kleiner Junge und stürzt auf eine Gruppe Gleichaltriger zu. Die Kinder umarmen sich und lachen freudig. Dann erblicken sie Nachum Rosenblatt, der aus seinem Büro kommt. Aufgeregt umringen sie ihn, greifen nach seinen Händen und reden von allen Seiten auf ihn ein. Rosenblatt kann sich lachend losreißen. »Wie schön, euch zu sehen!«, ruft er und deutet dann den Flur hinunter. »Schaut mal, da hinten gibt es Zuckerwatte.« Jubelnd verschwinden die Kinder im Gang. Es ist nicht das erste Fest, das Nachum Rosenblatt hier im Frankfurter Jugendzentrum feiert. Aber es ist die erste Saisoneröffnung, die er miterlebt. Im Februar übernahm der 27jährige die Leitung des Jugendzentrums von seiner Vorgängerin Daphna Schächter.
Auf dem Stundenplan im Büro reihen sich viele bunte Rechtecke aneinander. Das Angebot im Jugendzentrum ist umfangreich: Kinderzirkus, Ballett, Selbstverteidigung, Klavier, Tischtennis, israelische Volkstänze und HipHop gehören zu den Kursangeboten für die Sechs- bis Achtzehnjährigen. Auch Studenten dürfen mitmachen. Rund 260 Besucher zählt das Jugendzentrum pro Woche, die meisten kommen am Sonntag. Zur Gruppe gehören viele Einwandererkinder, die meisten sind aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen. »Nicht immer einfach«, sagt Rosenblatt, »aber wir haben das gut im Griff.«
Bis zu den Sommerferien war die Schule direkt bei der Gemeinde. Jetzt müssen die Schüler weit laufen, wenn sie nach dem Unterricht ins Jugendzentrum gehen. »Ich freue mich, wenn sie das in Kauf nehmen«, betont der Leiter. Die Jugendlichen sollen sich wohlfühlen und vom Alltagsstreß abschalten können. »Die Kinder finden hier Freunde, die auf ihrer Wellenlänge sind«, sagt Rosenblatt. Es ist ihm wichtig, daß die Heranwachsenden einen Bezug zu jüdischen Kreisen, zu Israel und zum Zionismus haben. »Wir sprechen hier auch über aktuelle Nachrichten und den Nahost-Konflikt«, erzählt Rosenblatt. »Die Jugendlichen sollen antworten können, wenn sie auf solche Themen angesprochen werden.«
Im Umgang mit Kindern und Jugendlichen ist Nachum Rosenblatt geübt. Schon mit 14 Jahren arbeitete er in Israel freiwillig in sozial schwachen Familien und betreute unterschiedliche Gruppen. Es folgte die Hospitanz in einem Heim für Jugendliche, die – so schätzt er es heute ein – »eigentlich keine Zukunft mehr hatten«. Daß Rosenblatt nun in Frankfurt ist, hat er mehreren Zufällen zu verdanken: Nach dem Wehrdienst kam er durch Lehava, ein Projekt der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWSt), zunächst nach Hamburg. Auch baute er ebenfalls ein Jugendzentrum auf. Nebenher unterrichtete er in einer jüdischen Schule Religion und biblische Geschichte und studierte Sozialpädagogik. »Das war ganz schön viel auf einmal«, räumt Rosenblatt ein und lacht. »Schließlich mußte ich ja auch noch Deutsch lernen.« Drei Jahre später zog er nach Frankfurt.
»Ich habe diesen Schritt nie bereut«, sagt Rosenblatt und meint damit seine Orientierung nach Deutschland. Natürlich fehle ihm seine Familie, und habe er Sehnsucht nach Freunden in Israel. »Aber ich bin mit der Arbeit sehr glücklich und fühle mich wohl hier«, sagt der 27jährige und schwärmt erneut von der Arbeit mit Jugendlichen. Es sei wundervoll, daß er etwas von seinen Erfahrungen an den Nachwuchs weitergeben könne, sagt er. Und die Kinder haben schnell Vertrauen zu ihm gefaßt. »Häufig gehen sie nicht direkt zu ihren Eltern, sondern kommen mit Problemen erst einmal zu mir und fragen mich um Rat«, erzählt Rosenblatt. Regelmäßig lädt er Jugendgruppen zu sich nach Hause ein.
Was schätzen die Kinder an Nachum Rosenblatt? »Ich glaube, sie mögen, daß ich religiös bin, aber trotzdem alles mitmache und zu jedem Scherz bereit bin«, sagt er nach kurzem Nachdenken. Ein etwa zehnjähriges Mädchen bestätigt: »Nachum ist einfach toll. Er lacht viel und ist immer da, wenn man ihn braucht.« Rosenblatt ist eben nicht nur ein geübter Organisator, sondern auch ein guter Gesprächspartner. Sein Rezept: »Ich nehme die Kinder ernst, und das spüren sie. Man kann über alles mit ihnen reden, wenn man es nur altersgerecht gestaltet.« Auch über Krieg, Holocaust und verschiedene Religionen und Glaubensrichtungen.
Eigene Kinder hat Nachum nicht. »Die kommen aber noch«, versichert er und schmunzelt. Seit knapp zwei Jahren ist Rosenblatt verheiratet, seine Frau kommt ebenfalls aus Tel Aviv. »Wir kennen uns schon seit der sechsten Klasse«, erzählt er, »aber gefunkt hat es zwischen uns erst, als ich schon in Deutschland lebte und zu Besuch in meiner Heimatstadt war.«
Die Programmappe des Jugendzentrums für das Jahr 2006/07 liegt frisch gedruckt auf dem Schreibtisch in Rosenblatts Büro. »Wir haben tolle Sachen ge plant«, sagt er. Elf Madrichim unterstützen ihn bei der Arbeit. »Nachum Rosenblatt ist ein Organisationstalent und erledigt seine Aufgaben sehr gewissenhaft«, lobt Tomer Nahary, einer der Madrichim. Der 20jährige kennt das Jugendzentrum seit seiner Kindheit. »Wir brauchten hier jemanden«, sagt er, »der mal frischen Wind reinbringt. Genau den haben wir in Nachum Rosenblatt gefunden. Er gibt uns allen viel Schwung.«
Das Jugendzentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt im Internet: www.amichai.de