Der nichtjüdische Sozialphilosoph Hans Erler (Jahrgang 1942) beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit der jüdischen Weltanschauung, die er offensichtlich sehr schätzt. Es war seine Anregung, die dazu geführt hat, dass die SPD 2007 im Hamburger Grundsatzprogramm das Judentum als die erste der geistigen Wurzeln dieser Volkspartei genannt hat.
Erler spricht von einer »Denkfigur Judentum«, die zum Gegenstand einer öffentlichen kulturellen und politischen Debatte werden sollte. Seine Überlegungen zur Erneuerung der SPD hat er nun in einer Streitschrift mit dem Titel Judentum und Sozialdemokratie veröffentlicht, zu der Micha Brumlik ein Vorwort beigesteuert hat, das Erlers Arbeit trefflich referiert. Auf wenigen Seiten arbeitet Brumlik sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Neuerscheinung heraus, und er rückt einige Behauptungen des Autors zurecht.
Unbestreitbar ist, dass überproportional viele Denker jüdischer Herkunft an der Entstehung der Sozialdemokratie beteiligt waren. Erler skizziert die Konzepte von Moses Hess, Karl Marx, Ferdinand Lassalle und Eduard Bernstein; er erkennt in ihren politischen Theorien eine Form der innerweltlichen Religiosität, die für das Judentum kennzeichnend sei. Erler vertritt die These: »Sozialdemokratie ist ohne ihr jüdisches Fundament nicht zu verstehen.«
Zu den religiös-politischen Axiomen des Judentums zählt der Autor Freiheit, Ungehorsam, Gerechtigkeit und Solidarität. In der Denkfigur Judentum sieht Erler das Programm der Sozialdemokratie. Diese Universalisierung des Judentums ist natürlich ebenso problematisch wie andere Metamorphosen der jüdischen Lebensauffassung. Mit Recht hat Brumlik angemerkt, dass eine Berücksichtigung des Bundes mit Noach Erler zu anderen Schlüssen geführt hätte.
Der Verfasser beginnt seine Einleitung mit dem folgenreichen Satz: »Nach Auschwitz ist der Begriff Gehorsam aus dem Wortschatz der Menschheit zu streichen.« Man kann verstehen, was Erler zu dieser Aussage bewogen haben mag – aber wird hier nicht das sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausgeschüttet? Gerade im Judentum wird die Frage diskutiert, wann Gehorsam angebracht ist und wann eben nicht (siehe zum Beispiel Raschis Kommentar zu 3. Buch Moses 19,3). Ansichten eines Außenseiters sind oft erhellend, aber mitunter ganz einfach falsch. Yitzhak Ahren
SPD