von Ludger heid
In den 80er-Jahren war es in, sich mit jüdischem Leben seiner Heimat zu beschäftigen. Das tat auch die Geschichtsgruppe in Dorsten. Doch während andernorts das Engagement teilweise im Sande verlief, wurde in der westfälischen Stadt mehr daraus. Aus der ersten Initiative entstand 1992 das »Jüdische Museum Westfalen«.
In den 15 Jahren seines Bestehens hat sich dieses Museum einen festen Platz in der Museumslandschaft erworben und zugleich einen Ruf als Ausstellungsstätte jüdischer Traditionsgeschichte. Mehr noch, das Jüdische Museum versteht sich als Lehrhaus, in dem Seminare, Kolloquien und Vorträge stattfinden. Und es ist ein Ort, an dem Quellen gesammelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
In den ersten Jahren fehlte dem Haus der Bezug zum westfälischen Judentum. Das hat sich inzwischen wesentlich geändert: Die bisherige Schau wurde neu geordnet. Statt der enzyklopädisch präsentierten Reihung der Feste im Jahreszyklus dominiert jetzt die Binnenperspektive um das Selbstverständnis des Judentums als Buchreligion.
Entsprechend der Neukonzeption des Museums haben seine Leiter Johanna Eichmann, Norbert Reichling und Thomas Ridder jetzt ein Buch vorgelegt, das einen Überblick über 1000 Jahre jüdisches Leben in Westfalen gibt. Haus, Familie, private und religiöse Feste bestimmten den jüdischen Alltag. Reform, Emanzipation, Assimilation, Zionismus – in Westfalen war es wie anderswo.
Dennoch sticht die Phase nach dem Erlass des Preußischen Emanzipationsedikts von 1812 bis Mitte der 50er-Jahre des 19. Jahrhunderts heraus. Etwa 35 Jahre rang das westfälische Judentum mit seiner Reform – religiös, sozial und gesellschaftspolitisch. Orgel, Synagogenchor, deutsch gesprochene Gebete waren fast selbstverständlich geworden, und die Architektur der Synagogen unterschied sich kaum noch von der der christlichen Kirchen. Die Juden in Westfalen hatten damit zum Ausdruck gebracht, dass sie sich als integraler Teil der Gesellschaft betrachteten, sie wollten Westfalen und Juden zugleich sein.
Westfalen hat Persönlichkeiten hervorgebracht, die eine bedeutende Rolle im deutschen Judentum spielten, wie den Münsteraner Arzt und Pädagogen Alexander Haindorf oder die Händlerin Freuchen Gans, eine Art Vorläuferin der Glückel von Hameln, sowie Jakob Löwenberg, den Dichter einer »verlorenen Heimat«, und Benno Elkan, der die große Menora schuf, die heute vor der Knesset in Jerusalem steht. Aus Bocholt stammte die streitbare Parlamentarierin Jeanette Wolff, die sich große Verdienste um die Wiedergutmachung in Deutschland erwarb. Und Benno Jacob, einer der bedeutendsten Bibelwissenschaftler seiner Zeit, wirkte von 1906-29 in Dortmund.
Von Bar Mizwa bis Zionismus. Jüdische Traditionen und Lebenswege in Westfalen. Hrsg. v. Jüdischen Museum Westfalen, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2007, 195 S., 14,90 Euro.