von Larry Luxner
Besucher des modernen Museums für Stadtgeschichte in Luxemburg werden überrascht: Die Torarollen, Hawdala-Gewürzdosen, silbernen Schabbatkerzen und anderen jüdischen Ritualgegenstände sind im Museum ausgestellt. Schließlich hat dieses wohlhabende kleine Land im Herzen Europas nur 600 Juden – und seit dem Zweiten Weltkrieg sind Juden in der Öffentlichkeit wenig in Erscheinung getreten.
Doch jetzt hat die Gemeinde begonnen, Antworten zu fordern – und eine Wiedergutmachung für die Nachfahren der Juden, deren Vermögen von den deutschen Besatzern geraubt wurde. Eine vor kurzem eröffnete Ausstellung im Historischen Museum mit dem Titel »Le Grand Pillage« – »Das große Plündern«, zeugt davon, daß immer mehr Menschen sich der Tatsache bewußt werden, daß das Land sich nie wirklich mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat.
»2002 beschloß Luxemburg, einen Ausschuß einzusetzen und zu untersuchen, was mit dem abhanden gekommenen Vermögen passiert ist«, sagt François Moyse, Menschenrechtsanwalt und Mitglied der jüdischen Gemeinde Luxemburgs. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hätten etwa 4.000 Juden im Land gelebt, rund die Hälfte davon waren Flüchtlinge aus dem Nachbarland Deutschland, so Moyse. 1940 befahlen die Nazis den Juden, Luxemburg zu verlassen. Alle außer 700 konnten entkommen: Die Gebliebenen wurden in Konzentrationslager deportiert. 1959 habe Luxemburg für seine jüdischen Staatsbürger 18 Millionen Mark von Deutschland als Wiedergutmachung erhalten.
»Der Mythos besagt in etwa, daß das arme Luxemburg vom Deutschen Reich überrannt und annektiert wurde und praktisch alle Luxemburger gegen die Nazis Widerstand geleistet hätten. Doch es gab solche, die vom Nazi-Regime profitierten. Wir wissen zum Beispiel, daß Antiquitätenhändler eine Menge Sachen aus dem Besitz von Juden aufkauften.« Einige dieser Gegenstände sind in der erwähnten Ausstellung im Historischen Museum zu sehen. »Ich behaupte nicht, daß irgendjemand dabei geholfen hat, die Juden zu töten, aber nur ein einziger Jude wurde in Luxemburg versteckt«, sagt der Rechtsanwalt.
Die jüdische Gemeinde Luxemburgs hatte sich im frühen 19. Jahrhundert etabliert. Offiziell leben heute 600 Juden im Land, sagt Moyse. Er ist aber davon überzeugt, daß die tatsächliche Zahl beinahe doppelt so hoch ist. Etwa 80 Prozent leben in der Hauptstadt Luxemburg, eine viel kleinere Gemeinde existiert in der Esch-sur-Alzette.
Die Boulangerie Philip ist der einzige koschere Lebensmittelladen in Luxemburg. Er versorgt die etwa 30 jüdischen Familien, die die Kaschrutvorschriften befolgen. Im Angebot sind die Matzeknödelsuppe aus Israel, Chanukkakerzen aus Belgien und koscheres Fleisch aus Frankreich. Fünfzehn Gehminuten vom Laden entfernt liegt die Hauptsynagoge des Landes, die 1953 an der Stelle der von den Nazis zerstörten alten Synagoge errichtet wurde. Die Gottesdienste werden auf Französisch und Hebräisch abgehalten. Rabbiner Joseph Sayagh, der in Marokko geboren wurde, ist vermutlich der erste sefardische Rabbiner in der Geschichte Luxemburgs. »Früher war die jüdische Gemeinde zu 100 Prozent aschkenasisch, mit vielen angestammten luxemburgischen Familien«, berichtet der 39jährige Moyse. »Heute haben wir viele Neuankömmlinge, weil das Land für viele Menschen, hauptsächlich aus Frankreich, attraktiv geworden ist.«
Einige dieser Neuankömmlinge lockte die kleine Reformgemeinde Or Chadash, die 1998 von Betty Preston, einer in Luxemburg lebenden Amerikanerin, gegründet wurde. »Ich vermißte mein Judentum, und ich vermißte das Zusammensein mit anderen Juden«, sagt Preston, die seit 24 Jahren in Luxemburg lebt. Mit etwa 35 erwachsenen Mitgliedern und 15 Kindern hält Or Chadash einmal im Monat im lokalen Bahai-Zentrum einen Schabbatgottesdienst ab, während Rosch Haschana im Hilton gefeiert wird. Für den Gottesdienst an den Hohen Feiertagen kommt jedes Jahr ein Rabbiner aus England. Die Mitglieder der Or- Chadash-Gemeinde sind ausschließlich Ausländer. Tatsächlich machen Ausländer 40 Prozent der Bevölkerung Luxemburgs aus.
Trotz der zurückhaltenden Rolle der Gemeinde in der Öffentlichkeit haben es einige Juden zu einer gewissen Prominenz gebracht. Einer davon ist Alain Meyer, ehema- liger Vizepräsident der jüdischen Gemeinde, der jetzt Mitglied im Luxemburger Staatsrat ist. Ein weiterer ist Edmond Israel, ehemaliger Präsident der luxemburgischen Börse.
Dank seines allgemeinen Wohlstands hat Luxemburg wenig Probleme mit Einwanderern – schon gar nicht in dem Ausmaß wie seine Nachbarländer Frankreich und Belgien, die beide einst Kolonien in Afrika besaßen. »Es gibt in Luxemburg keinen ausgeprägten Antisemitismus, aber genau wie in anderen Ländern herrscht ein gewisses Maß an Fremdenfeindlichkeit. Man hört schon mal jemanden Bemerkungen machen«, sagt Moyse.