Der venezianische Kaufmann Antonio nimmt bei dem Geldverleiher Shylock ein Darlehen über 3.000 Dukaten auf. Als Sicherheit muss der Christ dem Juden das Recht auf ein Pfund Fleisch aus seinem Körper übertragen. Als Antonio den Kredit nicht zurückzahlen kann, fordert Shylock vor Gericht die Einlösung des blutigen Pfands. Doch Portia, die Tochter des Kaufmanns, haut, als Rechtsanwalt verkleidet, ihren Vater im Verfahren heraus. Am Ende verliert Shylock den Prozess und sein Vermögen. Reumütig tritt er zum Christentum über.
Shakespeares Kaufmann von Venedig ist schon häufig analysiert worden – literarisch (wie viel hat der Barde bei Marlowes The Jew of Malta geklaut?) und ideologiekritisch (wie antisemitisch ist die Figur des Shylock gezeichnet?). Jetzt hat das Drama auch eine rechtliche Würdigung erfahren, wie die Zeitschrift The New Yorker berichtet. Sieben herausragende Juristen, unter ihnen der deutsche Rechtsprofessor und Schriftsteller Bernhard Schlink (Der Vorleser) haben kürzlich in New York die Causa Shylock gegen Antonio neu verhandelt. Zu klären waren zwei Fragen: Erstens, ob ein Anspruch des Geldverleihers gegen den Kaufmann auf Rückzahlung besteht, und zweitens, wenn ja, ob diese tatsächlich in der vertraglich festgelegten Form eines Pfund Fleischs erfolgen muss.
In der ersten Frage befanden die Richter zugunsten des Klägers und wiesen das Argument von Antonios Anwalt zurück, der Kreditvertrag sei wegen der Ein-Pfund-Fleisch-Klausel sittenwidrig. Allerdings, so die Richter weiter, dürfe Antonio seine Schuld in Geld oder Sachleistungen einlösen statt in eigenen Körperteilen. Außerdem verurteilte das Gericht Portia zu einer Geldbuße wegen Amtsanmaßung, weil sie im ersten Verfahren ohne Anwaltszulassung für ihren Vater aufgetreten war.
Angebote, das New Yorker Verfahren, wie weiland den Prozess in Venedig, zu dramatisieren (etwa für die Fernsehserie Law and Order), liegen, soweit bekannt, bisher noch nicht vor. Michael Wuliger
Shylock