Herr Rabbiner, Sie sind Freiberufler. Wenn an den Hohen Feiertagen die Nachfrage nach Synagogenpersonal größer wird, steigt dann Ihr Honorar?
Es ist bei einem Rabbiner nicht anders als bei Klempnern oder Tischlern: Man muss in guten Zeiten genug verdienen, um auch durch schlechte zu kommen.
Sie betreuen zehn Gemeinden in Deutschland und Österreich. Wie werden Sie dieser Aufgabe an den Hohen Feiertagen gerecht?
Man kann es nicht. Ich versuche, jedes Jahr abwechselnd an Rosch Haschana und Jom Kippur entweder in Schleswig-Holstein oder in Wien zu sein. Das sind die Gemeinden, für die ich die größte Verantwortung trage.
Und die anderen?
Die kann ich an den Hohen Feiertagen nicht betreuen. Es sind kleine Gruppen, und sie haben kein Geld. Aber bei Gescher LaMassoret in Köln zum Beispiel gibt es Leute, die den Gottesdienst leiten können. Für die anderen Gemeinden kann ich ab und zu Hilfe finden. Aber es bleibt ein Problem und eine Sorge.
Streiten sich die Gemeinden um Sie?
Nein, aber sie sind neidisch. Sie wissen, dass ich so viel wie möglich tue und hart arbeite. Wenn es nötig ist, bin ich am Schabbat oder an Festen einen Tag in der einen Gemeinde und den nächsten in einer anderen.
Das ist mit der Halacha vereinbar?
Deswegen bin ich liberaler Rabbiner. Es ist nicht ideal, an diesen Tagen zu reisen, aber wenn es nötig ist, um den Menschen und dem Herrn zu dienen, dann tue ich es.
Sie sind vor allem mit der Bahn unterwegs. Wie nutzen Sie die Stunden im Zug?
Ich lese viel und schreibe Artikel, Geschichten, Predigten, Gedichte. Und ich übersetze.
Für Reisebekanntschaften bleibt da keine Zeit.
Nein, nur wenn sie hübsch sind.
Wie wirkt sich das Reisen auf Ihr Familienleben aus?
Das ist ein Problem. Ich habe nur noch eine Tochter zu Hause. An den Hohen Feiertagen versuche ich, sie mitzunehmen. Aber der Zustand ist nicht ideal. Rabbiner predigen immer, wie wichtig Familie und Schabbat sind – und selbst haben sie dafür keine Zeit.
Dem Beruf des Wanderrabbiners wird eine große Zukunft vorausgesagt, denn etliche Gemeinden schrumpfen. Was empfehlen Sie Kollegen, die den Schritt in die Freiberuflichkeit wagen?
Sie sollten sich reiche Ehepartner suchen, denn Freiheit bringt manchmal finanzielle Sorgen. Ein Rabbiner muss – egal, ob er orthodox ist oder liberal – frei denken und predigen können. Ich bin froh, nicht von einem einzelnen Gemeindevorstand abhängig zu sein. Diese Freiheit hat Nachteile, aber ich genieße sie, denn ich habe erlebt, wie es ist, angestellt zu sein.