von Annette Lübbers
Sie sind mit Eifer bei der Sache. Nach einer festgelegten Choreographie bewegen die Jugendlichen anmutig Beine, Arme und Hände im Rhythmus der Musik. Dann und wann ruft Regisseurin Galyna Dudko Anweisungen in den kleinen, fast zu kleinen Raum im Internationalen Begegnungszentrum der Wuppertaler Caritas. Sobald die Musik stoppt, wird es laut. Die jungen Leute diskutieren, lachen und reden durcheinander. »An der Umsetzung unserer Stücke sind wir alle beteiligt«, sagt Elena. Diskussionsfreudig zeigen sich die jungen Leute auch während ihrer Theaterproben. Bislang hat die Truppe von Galyna Dudko neben Veranstaltungen in der Begegnungsstätte auch im Haus der Jugend im Stadtteil Barmen und in der Wuppertaler »Börse« gespielt. Immerhin vor etwa 200 Besuchern.
Die jüngste Teilnehmerin ist 15, der älteste 27 Jahre. Sie alle kommen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Eigentlich gründete sich die Truppe vor drei Jahren innerhalb der Jüdischen Gemeinde Wuppertal. Die jungen Leute spielten jüdische Stücke zu jüdischen Festen wie Purim oder Chanukka. Nach zwei Jahren plädierte die Gruppe aber für die Unab-
hängigkeit und bezeichnet sich nun als freie Theatergruppe. »Wir wollten uns nicht festlegen lassen auf jüdische Themen, und wir wollten auch nicht für ein ausschließlich russischsprachiges Publikum spielen. Das hätte auf Dauer doch keine Zukunft gehabt«, sagt Elena, das Mädchen mit dem roten Pullover.
Derzeit proben die jungen Männer und Frauen ihr viertes größeres Stück. Unter anderem stand schon Till Eulenspiegel auf dem Programm – in der russischen Bearbeitung eines Satirikers. Diesmal werden in sieben Episoden Themen tänzerisch dargestellt, die sowohl in der Tora als auch in der christlichen Bibel und im Koran in ähnlicher Form vorkommen: die Schöpfungsgeschichte, Kain und Abel, Abraham und Jitzchak, der Turmbau zu Babel. Stanislaw und Olga spielen Adam und Eva. Der junge Mann in schwarzer Jeans und schwarzem T-Shirt versucht, seine Bewegungen mit denen seiner Partnerin im blauen Top und blauer Jeans zu synchronisieren. Schließlich soll die Darbietung leicht, elegant und fließend wirken. Viel Arbeit braucht es, bis jede Nuance sitzt.
Stanislaw möchte später gerne Schauspieler werden. »Ich liebe das Theater. Aber mit Shakespeare-Stücken kann man ja wohl nicht anfangen.« In einem früheren Stück spielte er den Indianerhäuptling Bromden in einer Adaption des Kinofilms Einer flog übers Kuckucksnest (1975) und in einem anderen durfte er Gott spielen. Na ja, wie man Gott eben spielen kann. Auch Olga träumt von einer Schauspielerkarriere: »Die Chancen sind wohl eher schlecht. Aber ein Traum wäre es schon.« Erste Kontakte zu einer Agentur hat sie bereits. Allerdings will sie – sicher ist sicher – erst einmal Architektur studieren.
Anna, die fiese Krankenschwester Mildred Ratched aus Einer flog übers Kuckucksnest, plant eine andere Karriere. »Ich will Russisch und Französisch auf Lehramt studieren. Den ganzen Tag vor den Kids – das ist fast so wie Theater spielen«, sagt das Mädchen mit den rötlichen Haaren lachend. »Aber eine Einladung von Steven Spielberg oder Roman Polanski würde sie nicht ausschlagen. Natürlich nicht.
Und eine Traumrolle hat sie auch: »Einmal die Lady Macbeth spielen«, sagt sie träumerisch und dreht die Augen zur Decke.
Bislang hat die Truppe nur jüdische Mitglieder. Aber das soll sich ändern. »Wir möchten auch Nichtjuden einladen, bei uns mitzumachen«, sagte Elena. Noch wird bei den Proben ausschließlich russisch gesprochen – aber die jungen Männer und Frauen können sich auch vorstellen, auf deutsch zu proben. »Na ja, ein bißchen Russisch werden die Neuen dann auf jeden Fall lernen«, sagt Stanislaw und grinst. Ohnehin geht es locker zu bei den Proben. »Es ist ganz wichtig, daß die Spieler und Spielerinnen ihre Gefühle auszudrücken lernen«, erklärt Galyna Dudko. Und Tanja ergänzt: »Man muß eben mit Herz und Seele dabeisein. Sonst transportiert das Stück keine Emotionen.«
Und wie sieht es mit der Aufregung aus? »Vor der ersten Vorstellung habe ich schon Lampenfieber«, sagt Elena nachdenklich. »Aber es ist ein gutes Gefühl, daß man nicht alleine auf der Bühne steht«, fügt Tanja hinzu.
Gerade haben die jungen Schauspieler die Schlußszene geprobt. Jetzt verkörpern sie alle Adam und Eva. Später – auf der Bühne – werden sie statt ihrer Alltagskleidung weiße Kostüme tragen. Die Kleider und Masken entwerfen sie selbst, auch die Musik wird in Eigenregie geschnitten.
Wirklich leisten können sie sich nur einen Techniker. Noch fehlen Sponsorengelder. »Bislang unterstützt uns finanziell nur das Wupper-Theater«, sagt Galyna Dudko.
Das Stück, das bisher nur den Arbeitstitel Der Weg, den wir gewählt haben trägt, wird im Mai Premiere haben. Bis dahin wartet noch viel Arbeit auf die jungen Leute. Und deshalb, Pech für den Besucher, muß die Probenarbeit jetzt auch dringend weitergehen.