von Jacob Berkman
Die Unruhen in Kenia erschüttern auch die Nichtregierungsorganisationen, die in Ost- und Zentralafrika arbeiten. Krawalle und von Zivilisten errichtete Straßensperren erschweren das Reisen oder machen es tagelang unmöglich. Und die Gewalt gefährdet die Mitarbeiter. Obwohl es in den vergangenen Tagen ruhiger geworden ist, stehen die jüdischen Gruppen in Alarmbereitschaft. »Die Menschen haben Angst, sie bleiben zu Hause und gehen nicht auf die Straße. Das macht es sehr schwierig, sie zu erreichen«, sagt Julia Greenberg vom American Jewish World Service (AJWS), der die Arbeit von 14 Hilfsorganisationen in Kenia finanziert.
Der AJWS arbeitet hauptsächlich mit Gruppen in den Slums von Nairobi, einschließlich Kiberas, und im Westen Kenias, wo die Gewalt am schlimmsten war. Laut Maitri Morarji, Projektkoordinater für die Organisation in Ostafrika, gelang es dem AJWS erst in der vergangenen Woche, mit den von ihm finanzierten Gruppen Kontakt aufzunehmen. Der AJWS ist zurzeit dabei, den Bedarf der verschiedenen Gruppen zu ermitteln, und will kleinere Summen für Notsituationen vergeben, um bei der Ernährung der Menschen zu helfen, so Morarji.
»Alle sind sich der Sicherheitsprobleme bewusst und halten sich mit neuen Projekten zurück«, sagt Will Recant, stellvertretender geschäftsführender Vizepräsident beim American Jewish Joint Distribution Committee. Recant leitet die internationalen und nicht konfessionell gebundenen Joint-Projekte, darunter die Errichtung des Agahozo-Shalom-Jugenddorfes in Ruanda, in dem der Joint für die Waisen, die der ruandische Völkermord hinterlassen hat, ein Zuhause schaffen will.
Aufgrund der Kämpfe stieg der Gaspreis Anfang des Monats steil nach oben, was den Gebrauch von Autos und Bussen erschwert, sagt Morarji. Recant meint, er befürchte, die Instabilität in Kenia werde zu allgemeinen Preissteigerungen führen.
Unterdessen scheint die kleine jüdische Gemeinde Kenias von der Gewalt unberührt geblieben zu sein. In Nairobi leben 400 bis 500 Juden – meistens britische, australische, kanadische und amerikanische Exilanten. Es gibt eine Synagogengemeinde, die wöchentlich zusammenkommt, so Rabbi Schlomo Bentolila, Chabad-Direktor für Zentralafrika.
Bentolila ist in der Demokratischen Republik Kongo stationiert, drei Flugstunden von Nairobi entfernt, doch er kümmert sich darum, dass an den Feiertagen Chabad-Rabbiner für die jüdische Gemeinde Nairobis den Gottesdienst leiten. Er sagt, er stehe mit Juden in Nairobi und in Mombasa, einem Ferienort an der kenianischen Küste, wo ein Dutzend Juden lebt, in Kontakt. Die Lage sei ziemlich angespannt«, sagt Rabbi Bentolila. »Kenia ist immer stabil gewesen. Es hat in diesem Land keine Revolutionen gegeben. Es ist ein gutes Land, wo Menschen Tag für Tag zur Arbeit gehen und am Abend nach Hause kommen. Sie sind an Revolutionen nicht gewöhnt.« In den letzten Dezembertagen sei das Land jedoch auf den Kopf gestellt worden, sagt er, »in Nairobi allerdings nur in den Slums«.
In dem Bezirk, in dem die Juden wohnen, seien die Straßen in der ersten Januarwoche leer gewesen, berichtet Bentolila. Doch als die Gewalt abzuebben schien, nahmen die Menschen ihr Leben und ihre Arbeit allmählich wieder auf. »Aber die Dinge können sich innerhalb von Sekunden wieder ändern.«
Am Höhepunkt der Gewaltexzesse lag der Schlüssel für die eigene Sicherheit darin, wachsam zu bleiben und die Brennpunkte der Unruhen zu meiden, sagt der 21-jährige Daniel Pollack, der sich in Nairobi aufhielt, als die Gewalt ausbrach. Er hatte Spendengelder aus den USA nach Kibera gebracht, mit denen die dortige Schule repariert werden soll. Er verließ Nairobi Anfang Januar und reiste nach Ägypten. Die US-Botschaft hatte ihm mitgeteilt, in Kenia stünde ein Krieg bevor, er solle sich mit Lebensmitteln eindecken, erzählte Pollack. »Ich sah eine Menge Zerstörung. Ich sah ausgebrannte Minibusse mitten auf der Straße, hunderte von zerstörten Läden. Als ich aus Kibera zurückkam, musste ich Glassplitter aus meinen Schuhen entfernen.«
Kenias Geschichte ist die Geschichte der politischen Ruhe in einem sonst unsicheren Kontinent. Das ostafrikanische Land war bislang vergleichsweise immun gegen die Stammeskriege, die andere Staaten der Region in endlose Bürgerkriege stürzten. Für Nichtregierungsorganisationen war Kenias Hauptstadt Nairobi immer ein sicherer Ort und der Knotenpunkt, von dem aus sie Mitarbeiter und Material in benachbarte Länder sandten.
Doch das geht nicht mehr: Infolge der Unruhen in Kenia müssen zum Beispiel Baufirmen, die Material durch das Land nach Ruanda transportieren, das keinen Zugang zum Meer hat, auf andere Routen ausweichen, die weit länger seien. Dadurch ist der Preis für Beton bereits gestiegen. »Wenn eine Transportroute ausfällt, wirkt sich das nach und nach auf alles aus«, sagt Recant. Dennoch werde der Joint das Agahozo-Shalom-Projekt nicht aufgeben.