Frédéric P. Weil ist Generalsekretär der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. »Ich hoffe, dass die Minarettinitiative nicht Startschuss gewesen ist, die Religionsfreiheit in diesem Lande einzuschränken«, sagte er jüngst in einem Interview. Der Erfolg der Volksinitiative »Gegen den Bau von Minaretten« vor knapp zwei Wochen erregt in der Schweiz immer noch die Gemüter. Bei einer hohen Stimmbeteiligung votierten 57,5 Prozent der Bürger dafür, dass künftig keine Minarette mehr gebaut werden dürfen.
Wenige Tage nach dem Überraschungserfolg der Volksinitiative, die eng mit der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei kooperiert (SVP), hatte der Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei der Schweiz (CVP), Christophe Darbellay, im Fernsehsender Tele M1 gefor- dert, dass nun auch der Bau von jüdischen und muslimischen Friedhöfen zu verbieten sei. Nur die bestehenden dürften beibehalten werden. Nach Protesten entschul- digte er sich dafür, »bei der muslimischen und jüdischen Bevölkerung Irritationen« ausgelöst zu haben. »Es tut mir leid, wenn ich damit Gefühle verletzt habe.« Bereits zuvor hatte Darbellay ein Verbot der Burka sowie von Kopftüchern generell – mit Ausnahme derer, die katholische Nonnen tragen – ins Gespräch gebracht. Das Burkaverbot stieß auch bei den Frauen der Sozial- demokratischen Partei (SP) auf Zustimmung.
Michel Bollag, stellvertretender Leiter des Zürcher Lehrhauses (Judentum, Christentum, Islam), befürchtet, dass in Zukunft noch mehr Politiker versuchen werden, aus der Abstimmung Kapital zu schlagen. Viele Bürger und Parteienvertreter zeigen sich besorgt über den Fortbestand einer »offenen und toleranten Schweiz«.
fingerzeig Diese Einschätzung teilen allerdings nur wenige Juden. Sie befürchten nicht, dass das Minarettverbot Konsequenzen für ihre eigene Religionsausübung haben könnte. Im Gegenteil: Es gab eine nicht unerhebliche Zahl von Juden, die sich für ein Verbot der Minarette ausgesprochen hat – trotz der Empfehlungen und Appelle der offiziellen jüdischen Schweiz, dies nicht zu tun. »Ich habe nur deshalb ein Ja in die Urne gelegt, weil ich der Politik einen Fingerzeig geben will«, sagt David, der seinen vollen Namen nicht nennen möchte. »Es gibt Probleme mit muslimischen Einwanderern, und die Politiker sollen sich endlich ihrer annehmen. Ich möchte die Entscheidungsträger aufrütteln.« David ist Mitglied einer jüdischen Gemeinde in Zürich und bei Weitem nicht der Einzige, der diese Meinung vertritt.
Michel Bollag erklärt sich das Abstimmungsverhalten so: »Viele Juden in der Schweiz haben wenig Kontakt mit Muslimen, da sie meist nicht in gleichen Wohnquartieren leben. Dieser Umstand führt in Verbindung mit islamistischem Terror gegen Israel und gegen den Westen dazu, dass für viele jüdische Schweizer der Islam zum Feindbild Nummer eins geworden ist.«
schächtverbot Auf der anderen Seite gibt es einen konstruktiven Dialog zwischen jüdischen Organisationen und muslimischen Verbänden. Viele Juden sehen sich dem Kampf für die religiösen Rechte der Muslime verpflichtet, gerade auch, weil sie Parallelen zu ihrer eigenen Geschichte sehen. So dauerte es bis weit in das 19. Jahrhundert hinein, bis die Juden den christlichen Schweizern gleichgestellt wurden. Noch 1893 gab es beispielsweise eine erfolgreiche Volksinitiative gegen das Schächten, die Juden und Muslime glei- chermaßen betraf.
zwickmühle Wie blickt die jüdische Gemeinschaft in die Zukunft? Viele Juden sind unschlüssig, ob sie sich für die Muslime einsetzen oder sich hinter die islamkritische Rechte stellen sollen. Bislang gewichtet die Mehrheit Religionsfrieden und -freiheit stärker als die Angst vor dem Islam.
Wenn es um Themen wie getrennte Friedhöfe geht, sind nicht nur die offiziellen Vertreter des Judentums gefragt, sagt Bollag. Auch die Basis sollte sich vermehrt dazu äußern. Doch bis feststeht, welche Auswirkungen die Minarett-Abstimmung haben wird, kann man nur abwarten und Tee trinken. Vielleicht ja auch mal eine Tasse arabischen Kaffee.