von Michaela Golzmann
Der Name ist Programm: »Ohel Hachidusch«, das Zelt der Erneuerung. Zwar kamen die rund 50 Teilnehmerinnen aus Berlin, dem europäischen Ausland und den USA nicht unter einem Zeltdach zu-sammen. Sie hatten für ihren ersten Kongress vielmehr die Räume des Centrums Judaicum gewählt. Aber das Zelt sei Symbol dafür, dass man unterwegs sei, erläutern die Initiatorinnen des Treffens, die Künstlerin Anna Adam und die Schauspielerin, Sängerin und Kantorin Jalda Rebling: »Wir haben viele Ideen, die sich an den Bedürfnissen von Jüdinnen und Juden in der Moderne orientieren.« Deshalb eben »Chidusch«, Erneuerung: »Wir wollen in Berlin einen Ort für Jüdinnen und Juden außerhalb der eingefahrenen hierarchischen Strukturen schaffen und das Judentum erneuern.«
Ohel Hachidusch ist nach eigenen Angaben »eine Initiative, die richtungsübergreifend und aus der Tradition schöpfend, den Weg in die Moderne sucht«. Sie ist programmatisch und personell angelehnt an die Jewish-Renewal-Bewegung in den USA. Dort im Seminar der Alliance for Jewish Renewal (»Aleph«) wurde Initiatorin Jalda Rebling im Januar diesen Jahres zur Kantorin ordiniert. Vom Aleph-Cantorial-Programm kam zum Kongress Chasan Jack Kessler nach Berlin, der mit Rebling und Kantorin Avitall Gerstetter, ebenfalls eine ehemalige Aleph-Studentin, bei der Eröffnung und beim Hawadala-Gebet zu hören war.
Während der Konferenz beschäftigten sich die Teilnehmerinnen in Lern- und Diskussionsgruppen mit Tradition und aktuellen Fragen, unter anderem dem Thema Ökologie. Eine leitende Vorstellung ist hierbei, dass die Kaschrutregeln einer ökologischen Prüfung unterzogen werden und neue Formen koscheren Lebens (Öko-Kaschrut) zur Rettung der Umwelt beitragen sollen. Die Norwegerin Lynn Feinberg, eine der Referentinnen des Kongresses, erklärte, dass Öko-Kaschrut das herkömmlichen Verständnis, was koscher bedeute, erweitern werde. Dabei soll das Bewusstsein, mit den Ressourcen der Welt verantwortlich umzugehen, im Judentum gestärkt werden. Ebenfalls ging es um die Probleme von Menschen, die nach Meinung der Veranstalter in traditionellen jüdischen Gemeinden oft am Rand stehen. Hierzu zählen homosexuelle, konvertierte und säku- lare Juden ebenso wie interkonfessionell Verheiratete. Wie den Bedürfnissen dieser Gruppen besser Rechnung getragen werden kann, wurde diskutiert. Auch war die Gleichstellung von Mann und Frau innerhalb der Gottesdienste ein Thema. So sollen nach der Vorstellung von »Ohel Hachidusch« Frauen nicht nur als Rabbinerinnen und Kantorinnen amtieren, sondern auch zur Tora aufgerufen werden können. Als feministische Jüdinnen wollen sie sich dennoch nicht verstanden wissen. Insgesamt will man auch die innerhalb des Judentums trennenden Begriffe wie orthodox, konservativ oder liberal überwinden.
Alle Juden könnten sich unter dem »Zelt der Erneuerung« zusammenfinden, sagen Rebling und Adam. Darauf, dass dies von selbst geschieht, will man allerdings nicht unbedingt warten. Die Initiatorinnen des Vereins »Wayber Jewish Women’s Culture Club« streben an, Jüdinnen und Juden in anderen Gemeinden in Deutschland zu besuchen, um mit ihnen gemeinsam durch zum Beispiel Gesänge, Meditation, Tanz und künstlerischem Gestalten »neue Wege der Verbindung zu Gott und Tora« zu finden. Der Wunsch der Veranstalter ist es, aus dem Zelt irgendwann ein Haus werden zu lassen, um einen festen Standort für die Weiterentwicklung der Bewegung in Deutschland zu haben.
In den Niederlanden ist dies bereits Realität. Elisa Klapheck, die zuvor mehrere Jahre als Journalistin in Berlin tätig war, ist jetzt in Amsterdam als Rabbinerin aktiv, in der Gemeinde Beit HaChidush, dem Haus der Erneuerung. Klapheck ist ebenfalls Absolventin des Aleph-Seminars. Ob es auch in Berlin demnächst ein solches »Haus« geben wird, ist offen. Mehrfach betonten die Initiatorinnen jedoch, dass sie keine Absicht haben, eine eigene Gemeinde zu gründen. Die Aktivitäten sollen vielmehr innerhalb bestehender Strukturen veranstaltet werden. Erste Kurse sollen schon Ende des Monats stattfinden.
www.ohel-hachidusch.org