von Rabbiner Elias Dray
Gleich zum Anfang unseres Wochenabschnitts werden die segenvollen Auswirkungen für die Erfüllung und Einhaltung der Tora aufgezählt. »Wenn ihr nach Meinen Gesetzen wandelt und Meine Gebote beobachtet und sie einhaltet, so will Ich euch den Regen zur rechten Zeit geben, der Boden wird seinen Ertrag geben und die Bäume auf dem Feld ihre Frucht« (3. Buch Moses 26, 3-4). »Ich werde mich euch zuwenden, euch fruchtbar machen und euch vermehren, und ich werde meinen Bund mit euch aufrechterhalten« (Vers 9).
Raschi, der bekannte Kommentator der Tora und des Talmuds, erklärt, dass sich G’tt von allen seinen Beschäftigungen abwendet, um uns den Lohn für unsere guten Taten zu zahlen. Wie sollen wir uns das vorstellen? Kann man sagen, dass G’tt am Schreibtisch sitzt, sich gerade ganz konzentriert mit der Hypothekenkrise in den USA beschäftigt, und plötzlich sieht er einen Juden, der voller Liebe den Pessachseder mit seiner Familie abhält, und wendet sich ab von den Geschehnissen im Hypothekenmarkt, um sich um diesen Jehudi und seine Familie zu kümmern. Die Antwort lautet natürlich: Nein. Natürlich kann G’tt sich in derselben Sekunde mit 1000 verschiedenen Sachen auseinandersetzen. Also was meinte Raschi mit dem Ausspruch, dass sich G’tt von allen seinen Beschäftigungen abwendet, um uns den Lohn für unsere guten Taten zu bezahlen?
Manchmal, wenn G’tt einen Menschen belohnen will, dann dreht er die ganze Welt für diesen einen Menschen um. Es kann zu einer Reihe von Veränderungen bei vielen Menschen führen, um bestimmte Menschen zu belohnen oder zu bestrafen.
Wir müssen wissen, das jede gute Tat irgendwann einmal belohnt wird. Nichts ist umsonst. Hierzu will ich eine Geschichte meines Rabbiners und Lehrers Rav Izchak Halberstadt gesegneten Gedenkens aus Bnei Brak erzählen. Im Jahr 1938 war er ein junger Student im Rabbinerseminar zu Berlin. Sein Vater, ein großer Arzt und Gelehrter, war sehr besorgt über die prekäre Situation in Deutschland und wollte, dass nach der Reichskristallnacht wenigstens sein Sohn ein Ausreisevisum für Großbritannien bekommt, um sich zu retten. Er schickte den jungen Izchak Halberstadt zum Auswärtigen Amt in Berlin, um eine Ausreiseerlaubnis zu beantragen. In der zuständigen Abteilung saßen drei Männer in braunen Anzügen mit Hakenkreuzen. Bevor er fertig sprechen konnte, schrien ihn die drei Männer an: »Raus, du Judensau. Es gibt keine Ausreiseerlaubnis für Juden. Geh zur Hölle!«
Izchak Halberstadt ging sehr betrübt nach Hause. Was sollen wir jetzt machen. Sein Vater hatte Tränen in den Augen, als er von der Ablehnung hörte. Am nächsten Morgen stand der Vater auf, und als er den Briefkasten öffnete, da fand er einen Brief vom Auswärtigen Amt. Der Brief war per Hand eingeworfen und nicht frankiert. »Hiermit möchten wir Ihnen mitteilen, dass Izchak Halberstadt auswandern darf«, stand darin geschrieben.
Was war passiert? Einer der drei Männer, die Izchak Halberstadt am Vortag hinausgeworfen hatten, lebte im selben Haus wie die Halberstadts. Der Junge ging zu dem Mann und fragte ihn: »Können Sie mir erklären, gestern haben sie mich hinausgeworfen und gesagt, dass ich keine Ausreisegenehmigung bekomme, und heute erhalten wir diesen Brief. Wie kommt das?«
Der Mann antwortete: »Ich kenne deinen Vater seit vielen Jahren und habe beobachtet, dass er immer sehr früh zum Beten geht und sich aufopferungsvoll um jüdische und nichtjüdische Arme kümmert. Ich konnte einfach nicht Nein sagen. Es ist, weil dein Vater ein sehr besonderer Mann ist. Deshalb habe ich dir die Erlaubnis erteilt.«
Inmitten der dunklen Tage des Nationalsozialismus konnte man ein Licht erkennen. Dieses Licht sind die guten Taten. Wir können nie wissen, wann die Zeit der Belohnung kommt. Deshalb ist es so wichtig, Gutes zu tun, wann immer wir die Möglichkeit haben. Auch wenn wir es in der Vergangenheit unterlassen haben, es ist nie zu spät. Im Judentum glauben wir sehr stark daran, dass jede Tat, ja jeder Gedanke eine Auswirkung hat, dass sie den Verlauf der Welt verändern.
Maimonides, der jüdische Religionsphilosoph, schreibt, dass der Mensch sich immer als halb unschuldig und halb schuldig betrachten soll, und so sei es mit der ganzen Welt: halb unschuldig und halb schuldig. Begeht man auch nur eine Sünde, so bringt man dadurch sich und die ganze Welt nach der Seite der Verschuldung und des Leidens. Tut man eine gute Tat, so bringt man sich und die ganze Welt nach der Seite des Verdienstes und des Friedens. Es sind unsere Taten, die die Welt verändern.
Der Autor ist Jugendrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München.