Day-Camp

Flußkapitäne und Großmeister

von Christiane Vielhaber

Chana hat eine neue Zahnspange. »Meine Mutter sagt, davon kriege ich ganz schöne und gerade Zähne«, erzählt sie stolz den Madrichot im Day-Camp. Und Susannah hält die Handfläche hin und möchte getrö-stet werden. »Ich habe mir gestern beim Fußballspielen weh getan.« Michelle hat ihren Fotoapparat mitgebracht. »Machst du dann auch gleich ein Foto von mir beim Ausflug?«
Die Kinder im Chabad Day-Camp in Köln haben schnell Vertrauen gefaßt zu ihren Jugendleitern und freuen sich auf jeden Tag. Gestern wurden Filztäschchen gebastelt, heute gehen sie auf einen Ausflug zu einem Bauernhof im nahegelegenen Leverkusen. Wegen des heißen Wetters bekommt jeder eine Flasche Wasser zugesteckt, auf der sein Name geschrieben steht.
Vor dem Start wird gebetet und gesungen – auf Deutsch, Hebräisch und Englisch. Es wird aus der Tora gelesen, und es werden Gesänge angestimmt wie: »Es ist ein Camp voll Freude, das Mittagessen ist erste Klasse.« »Was hat das alles mit der Tora zu tun«, fragt Levi. »Es soll euch Kraft geben für den Tag.« Beim Beten machen nicht alle mit. »Einige kennen sich bei den jüdischen Liedern nicht so aus, die anderen haben sie in der jüdischen Grundschule gelernt«, sagt die Madricha. »Nicht alle sind zu Hause religiös, aber wir versuchen, es hier zu vermitteln.«
Zwei Kinder sprechen nur Russisch. Schalom Ber, mit vier Jahren der jüngste Teilnehmer, nur Hebräisch. Alle Kinder sind in Deutschland geboren. Die Jungs müssen eine Kopfbedeckung tragen, eine Baseballkappe reicht aber aus. Nur Max hat keine auf, er hat erst seine Kippa und dann seine Kappe verloren. Da wird heute mal eine Ausnahme gemacht.
Leiter des Ferienprogramms ist seit vielen Jahren Mendel Schtroks, Rabbiner von Chabad Lubawitsch. »Wir wollen hier keinen Religionsunterricht machen, sondern beim Spielen Werte vermitteln. Zum Beispiel üben wir beim Kochen und Essen Segenssprüche. Es muß immer einen Anlaß geben.«
Chabad Lubawitsch gewinnt vor allem durch sein soziales Engagement viele Anhänger bei den russischsprachigen Juden. Und ist damit nicht in allen jüdischen Gemeinden willkommen. In Dresden ist ein regelrechter Konflikt entstanden. Dort hat ein Rabbiner von Chabad eine eigene Synagoge gegründet und ist mittlerweile zu einer Konkurrenz für die Zentralratsgemeinde geworden. Hier in Köln sei das anders, sagt Israel Meller, Sekretär des Rabbiners der Synagogen-Gemeinde, Netanel Teitelbaum. »Rabbi Schtroks ist Mitarbeiter der Synagogen-Gemeinde, wir unterstützen ihn, wo wir können.« Und Rabbiner Schtroks sagt: »Jede Stadt ist anders. Der Rabbiner in Dresden ist alleine gekommen und macht sein eigenes Ding. Ich bekomme Gehalt von der Gemeinde und arbeite für die Gemeinde.«
15 bis 25 Kinder zwischen vier und zehn Jahren kommen jeden Tag zum Chabad-Camp. 45 Euro kostet das Day-Camp pro Woche, inklusive Essen. Die Nachfrage hat im Vergleich zum vergangenen Jahr etwas nachgelassen. »Die Leute fahren mehr in den Urlaub«, sagt Rabbiner Mendel Schtroks. Doch für einige Kinder ist die Fahrt zum Bauernhof der erste Ausflug in den Ferien. Hier basteln sie aus Rinden, Korken, Eierkartons und Filz kleine Schiffchen. Max ist sofort hellwach. »Haben Sie auch Motoren hier? Kann ich das Schiff mit nach Hause nehmen? Da habe ich Motoren.«
Madricha Chana ist dazugekommen und hilft den Kindern mit der Heißklebepistole. Sie ist eine Chabad-Betreuerin aus New York, dem Zentrum von Chabad Lubawitsch, und für das Camp zu Gast in Deutschland. Sie spricht nur Englisch und Hebräisch, so hat nun auch der kleine Schalom Ber eine Ansprechpartnerin. Chana fühlt sich wie zu Hause. »Die Camps laufen nach einem internationalen Muster ab. Wir sind ein Netzwerk. Wir haben denselben Glauben.«
Die Bötchen sind fertig und die Kinder gehen zum kleinen Fluß, um sie schwimmen zu lassen. Die meisten der kleinen Kork-Kapitäne auf den Schiffchen tragen eine kleine Kippa.

*

Sie haben sich das schattigste Plätzchen im Garten des Jüdischen Wohlfahrtszentrums ausgesucht. Die beiden älteren Herren müssen sich schließlich konzentrieren. Donald Dudkin ist 91 und Milik Beilis 70, und sie veranstalten das Schachturnier beim Sommerfest des Elternheims der Kölner Synagogen-Gemeinde. Die beiden sind passionierte Schachspieler und wollen ein paar »Neulinge« anwerben. Das gelingt auch sofort. Donald Dudkin spielt gegen einen Herrn, dessen Vater im Elternheim lebt. Und Milik Beilis hat den achtjährigen Christopher als Gegenüber. Er ist der Sohn der Physiotherapeutin des Elternheims.
Angehörige, aber auch viele Mitarbeiter mit ihren Familien sind zum Sommerfest gekommen. Kinderschminken, Tombola, Tanz und Chansons stehen auf dem Programm. Und es wird viel erzählt – auf Russisch. 70 Senioren leben im Elternheim, die meisten kamen in den 90er Jahren mit ihren Kindern aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Darauf hat sich das Heim eingestellt. »Etwa ein Drittel unseres Personals ist russischsprachig«, sagt die Leiterin, Dalia Rado.
Donald Dudkin stammt aus der Ukraine, der Krieg verschlug ihn nach Usbekistan. Er arbeitete als Ingenieur für Wasserkraftwerke. Nach dem Tod seiner Frau zog er nach Köln, weil hier eine Nichte wohnte. »Er ist 91 Jahre alt und erinnert sich noch an jede Sekunde seines Lebens«, sagt ein Pfleger bewundernd.
Milik Beilis kam mit seiner Familie aus Odessa. Nach einem Schlaganfall braucht er viel Pflege, doch beim Schachspiel lebt er auf. Ob Christopher denn gut spiele? »Na, wenn er noch ein bißchen übt, wäre er besser«, sagt Beilis und lächelt. Und Christopher weiß schon nach dem ersten Spiel: »Ich merke, daß ich da noch was machen muß, um so gut zu sein wie er.« Und dann tritt Christophers Vater gegen Milik Beilis an.
Drinnen erklingen unterdessen jiddische Lieder und russische Romanzen. »Deine grünen Augen«, »Wenn der Rebbe singt«, »Eine Flasche Wein« übersetzt Musikerin Dina Goncharova die Liedertexte für die wenigen, die des Russischen nicht mächtig sind. Viele singen und klatschen mit. Als zum Schluß die Hatikva gespielt wird, stehen alle Zuhörer auf.
Heimatliche Klänge, neue und vertraute Gesichter, lieber Besuch – für viele Bewohner ist das Sommerfest einer der Höhepunkte des Jahres. Und selbst diejenigen, die keine Verwandten mehr haben oder wo der Kontakt abgebrochen ist, sind nicht allein. »Wir sind hier eine große Familie«, sagt ein Pfleger, und für diesen Sommernachmittag stimmt das allemal.

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