von Michael Holmes
Man spricht hinter vorgehaltener Hand davon. Vergangene Woche berichtete der in London erscheinende Jewish Chronicle von Plänen der Jewish Agency, die Juden Simbabwes nach Israel auszufliegen. Ein Rabbiner aus Südafrika sei in London eingetroffen, um Spenden dafür zu sammeln. Die Notoperation sei bereits in vollem Gange, Details werden aus Sicherheitsgründen geheim gehalten. Es ist zu vernehmen, dass Mitarbeiter der Jewish Agency Einzelgespräche mit den Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft Simbabwes führen. Man hört, dass
viele der Älteren noch unentschlossen seien, ob sie ihre Heimat verlassen sollen.
Zwei Wochen vor der für den 27. Juni angesetzten Stichwahl um das Amt des Präsidenten spitzt sich die politische und wirtschaftliche Lage in Simbabwe immer mehr zu. Zwar konnte das oppositionelle Movement for Democratic Change (MDC) allen Einschüchterungen und Repressionen zum Trotz die Präsidentschaftswahlen im März für sich entscheiden, aber Diktator Robert Mugabe will das Ergebnis nicht anerkennen. Unverhohlen droht er den »Lakaien des Kolonialismus« – als solche beschimpft er seine politischen Gegner – mit Krieg. Der hat längst begonnen. Beobachter berichten von willkürlichen Verhaftungen, Schlägen, Folter und Hinrichtungen. Allein im Mai sollen 60 Oppositionelle ermordet worden sein. MDC-Führer Morgan Tsvangirai wurde wiederholt festgenommen, Generalsekretär Tendai Biti sitzt weiter in Haft. Mitglieder von Hilfsorganisationen werden eingeschüchtert und sogar verhaftet. Selbst westliche Diplomaten werden bedroht. Hardliner der Regierungspartei Zanu-PF (Patriotic Front) rüsten sich, so hört man, um in den kommenden Monaten ihre Herrschaft zu sichern.
Schwere Zeiten auch für die wenigen verbliebenen Juden Simbabwes, von denen 163 in der Hauptstadt Harare und etwa 80 in Bulawayo, der zweitgrößten Stadt des Landes, leben. Die große Mehrheit ist aschkenasisch, die sefardische Gemeinde zählt nur etwa 70 Mitglieder. »Schwarze« Juden gibt es keine in Simbabwe.
Jüdische Männer und Frauen waren bereits unter den ersten Gruppen von Pionieren, die 1890 das damalige Rhodesien kolonisierten. Die ersten Gemeinden wurden 1892 und 1894 in Bulawayo und Harare gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele griechische Juden in das afrikanische Land. 1960 zählte die jüdische Gemeinschaft Rhodesiens etwa 7.500 Mitglieder, aber schon 1962 begann die allmähliche Auswanderung. Zuerst verließen die Jungen das Land.
»Wer in letzter Zeit das Land verlassen hat, der hat es aus ökonomischen Gründen getan«, sagt Dave Bloom, der von Israel aus die Website »Zimbabwe Jewish Community« (www.zjc.org.il) betreut. Antisemitismus ist seiner Einschätzung nach kein großes Thema mehr. Die Probleme der Juden unterscheiden sich kaum von denen anderer Bevölkerungsgruppen: »Mugabe hat den Juden in Simbabwe mit einigen Kommentaren in ihre Richtung sicherlich Sorgen bereitet. Daraus sind aber keine praktischen Probleme erwachsen.« Auch der Brand der Synagoge von Bulawayo vor fünf Jahren habe vermutlich keinen antisemitischen Hintergrund, so Bloom, auch wenn die Ursache nicht ganz geklärt werden konnte.
Bloom vergleicht die Situation der jüdischen Gemeinschaft mit der der restlichen »weißen« Gemeinde in Simbabwe, deren Farmen und Geschäfte von Mugabe enteignet wurden. Auch die christliche »weiße« Gemeinde des Landes ist seit der Unabhängigkeit 1980 auf einen Bruchteil ihrer einstigen Größe geschrumpft.
In den frühen Tagen des rassisch und ethnisch separierten Rhodesiens war Judenfeindschaft weitaus stärker verbreitet als heute. Vor einigen Clubs standen damals Schilder mit der Aufschrift: »Keine Schwarzen und Juden«. Die jüdische Gemeinde reagierte, indem sie eigene Clubs gründete. Heute verunsichert Juden in Simbabwe eher die radikale Israelfeindschaft des Regimes. Wie die meisten antikolonialen Bewegungen Afrikas sympathisieren auch Mugabes Anhänger mit den radikalen Palästinenserorganisationen. Besonders die Veteranen des Unabhängigkeitskrieges pflegen ihre guten Beziehungen. Die staatlichen Medien schüren immer wieder den Hass auf Israel, und der palästinensische Botschafter galt jahrelang als der Doyen der Diplomaten im Land.
In der derzeitigen Lage in Simbabwe, die sich jeden Tag noch weiter verschlechtern kann, sind die Verbindungen nach außen von großer Bedeutung. Die jüdische Gemeinschaft des Landes ist Mitglied des African Jewish Congress, eines Zusammenschlusses der jüdischen Gemeinden Süd- und Zentralafrikas. Als vor wenigen Wochen eine Delegation des African Jewish Congress von Kapstadt aus nach Simbabwe aufbrach (vgl. Interview S. 1), wurde in mehreren jüdischen Gemeinden Südafrikas der Ruf laut, die jüdische Führung solle die Menschenrechtsverletzungen im Nachbarland öffentlich ansprechen. Doch die Gastgeber in Harare beschworen ihre Gäste, dies nicht zu tun – aus Angst vor Repressalien.
Viele Juden in Simbabwe haben nahe Verwandte und Freunde in den afrikanischen Nachbarländern. Der Kontakt zu ihnen macht etlichen von ihnen das Leben erträglich, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Doch mit jedem Tag, den die Stichwahl näherrückt, schwindet die Sicherheit, auch in Zukunft weiterhin mit ihnen in Kontakt zu sein.