von Wladimir Struminski
Der 17. Knesset war kein langes Leben vergönnt. Knapp drei Jahre nach der letzten Wahl müssen die Israelis schon wieder ein neues Parlament küren. Der vorgezogene Urnengang wurde erforderlich, nachdem die designierte Ministerpräsidentin Zipi Livni die ihr von Staatspräsident Schimon Peres aufgetragene Regierungsbildung am Sonntag für gescheitert erklärte. Am Montag hatte Peres dies offiziell dem Jerusalemer Parlament mitgeteilt. Die Fraktionen einigten sich darauf, die Sitzungsperiode bereits am 11. November zu beenden. Zu-
dem kamen sie bei einem Treffen mit Parlamentspräsidentin Dalia Itzik am Dienstag überein, dass die Neuwahlen am 10. Februar stattfinden sollen. Wegen des TuBischwat-Feiertages könnte der Wahltermin noch auf den 17. Februar verschoben werden.
Für Livni war die Rückgabe des Regierungsauftrags nicht nur ein Scheitern, sondern auch eine Befreiung aus dem Würgegriff des widerwilligen Koalitionspartners Schas. Die sefardisch-orthodoxe Partei hatte von Livni gefordert, einen territorialen Kompromiss in Jerusalem von vornherein auszuschließen und anderthalb Milliarden Schekel pro Jahr für höheres Kindergeld auszugeben. Als Livni diesen Wünschen nicht im gewünschten Maße entgegenkam, konterte der Rat der Toraweisen, das rab-
binische Führungsgremium der streng frommen Partei, mit einer formalen Weigerung, der Regierung Livni beizutreten. Falls die Rabbiner gehofft hatten, Livni damit kleinzukriegen, sahen sie sich eines Besseren belehrt. Statt die ihr vom Gesetz zugestandene Zeit – bis 3. No-
vember – voll auszunutzen, nahm Livni den Fehdehandschuh auf und verlangte einen möglichst frühen Wahltermin. Damit machte die Kadima-Chefin ihren Widersachern einen Strich durch die Rechnung und gestaltete den Urnengang zu einer Bühne für ihren eigenen Mut zu einer anderen, sauberen Politik. »Ich war nicht bereit, die Wirtschaft des Landes und eine bessere Zukunft für den Sessel des Ministerpräsidenten zu opfern«, verkündete sie in einer Ansprache. Privat höhnte sie im Hinblick auf die Schas-Oberen: »Wir werden sehen, wie heldenhaft die in drei Monaten sind«, will heißen nach den Wahlen.
Mit ihrem Schachzug knüpfte Livni an ihren Mentor Ariel Scharon an. Als Schas-Minister während seiner Amtszeit in der Knesset gegen die Regierung stimmten, ließ sich der bullige Ex-Feldherr nicht unter Druck setzen, sondern feuerte die Rebellen kurzerhand. Damit erwarb sich Scharon den Ruf der Unerpressbarkeit: etwas, was Livni ebenfalls für sich in Anspruch nimmt. Möglicherweise sitzt Livnis Streich der Schas tiefer in den Knochen, als sie zugeben will. Warum sonst hätte Schas-Vorsitzender Eli Jischai sie am Montag mit für ihn ungewohnter Vehemenz als »aufgeblasene, herablassende Rassistin« attackiert?
Zugleich signalisierte Zipi, dass sie es auch als Frau mit der politischen Männerwelt aufnehmen kann. Das hatte bereits Israels erste Ministerpräsidentin Golda Meir vorexerziert. Von der behauptete der Volksmund seinerzeit nur halb ironisch, im ganzen Kabinett sei sie die Einzige, »die Eier hat«. Mit diesen Worten würde sich die elegante Livni, sogar von der syrischen Regimezeitung Tischrin »Mossad-Schönheit« genannt, selbst sicherlich nicht beschreiben, doch kann der Ruf einer eisernen Lady auch ihr nicht schaden.
Das glauben anscheinend auch die Wähler. Nach Livnis kurzentschlossenem Auftritt gaben Umfragen der Kadima zwischen 27 und 31 Mandate und damit um einen bis drei Sitze mehr, als für den rechtsnationalen Likud prognostiziert wurden. Damit würde sich der Likud gegenüber der Wahlkatastrophe von 2006 –damals kamen Benjamin Netanjahu und seine Truppe auf ganze zwölf Abgeordnete – zwar erholen, bliebe aber noch immer weit von seiner 2003 erreichten Fraktionsstärke von 38 Männern und Frauen entfernt. Will heißen: Selbst ein mit allen Wassern gewaschene Charismatiker und ehemalige Regierungschef wie Netanjahu muss sich vor Zipi in Acht nehmen. Auch einem anderen Ex-Premier jagt Livni Stimmen ab, und zwar Ehud Barak. Dessen Arbeitspartei prophezeien die Umfragen nur noch elf statt der bisher 19 Knessetsitze.
Schafft es Livni, Kadima trotz der verheerenden Amtsbilanz ihres Vorgängers Ehud Olmert als die stärkste politische Kraft des Landes zu behaupten, ist ihr ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Allerdings nicht unbedingt am Kabinetts-tisch. In der israelischen Politik haben die Resultate einzelner Parteien nämlich nur begrenzte Bedeutung. Die Schlüsselfrage lautet, ob es dem Rechtsblock gelingt, mehr als 60 Knessetsitze zu erobern. In diesem Fall könnte der Likud ein Bündnis mit der rechtssäkularen Israel Beitenu, der siedlernahen Gemeinschaftsfraktion Nationalunion/Nationalreligiöse Partei sowie den ultraorthodoxen Fraktionen von Schas und dem Vereinigten Torajudentum eingehen. Verfehlt die Rechte aber den Griff nach alleiniger Macht, könnte Kadima eine Regierung mit dem Likud und der Arbeitspartei bilden.
Das große Problem einer Großen Koalition wäre dessen friedenspolitische Handlungsunfähigkeit. Auf der anderen Seite aber könnten die drei Volksparteien dringend benötigte innenpolitische Reformen anpacken. Jedenfalls dann, wenn die Ex-Landes-
väter Netanjahu und Barak bereit sein werden, dem Vaterland unter einer von ihnen lange Zeit unterschätzten »Frau Premier« zu dienen.