von Julia Ranniko
Auch als Politpensionär scheint seine Anziehungskraft ungebrochen. Knapp eine Woche nach seinem eher beiläufig gestalteten Rückzug von der parlamentarischen Bühne hält Joschka Fischer am Montagabend einen Vortrag an der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität – und trotz besten Sommerwetters ist der stickige, holzvertäfelte Saal mit seinen schweren Gemälden und Skulpturen proppenvoll. Gut 500 Menschen hören der Grünen-Ikone gebannt zu, als er eine gute Dreiviertelstunde lang über »Europa, Israel und den Nahen Osten« referiert.
»Zum Üben« komme Fischer auf Einladung der Hochschule für Jüdische Studien nach Heidelberg (HfJS), hatte die Lokalzeitung vor dem Auftritt geschrieben. Schließlich übernimmt der 58jährige, der seine Karriere als Taxifahrer begann, im Herbst für ein Jahr eine Gastprofessur an der Elite-Universität Princeton in den USA. »Mit dem Üben ist das so eine Sache«, kontert Fischer, nachdem Alfred Bodenheimer, der Rektor der HfJS, den Vortrag eingeleitet hat. Und Fischer doziert wie zum Beweis mit Engagement, großen Gesten und Verve in der Stimme. Um gleich darauf mit dem Publikum zu kokettieren: »Warum Sie sich die Tortur antun, hierher zu kommen und mir zuzuhören, müssen Sie selbst wissen.«
Zu den Gästen an diesem Abend gehört auch der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn. Er und die anderen Zuhörer erleben einen Joschka Fischer, der jetzt Privatmann sein will, sich aber nach wie vor staatsmännisch gibt. Gekleidet in einen grauen Anzug mit roter Krawatte, spricht Fischer über ein Thema »von bedrückender Aktualität«. Er gibt einen historischen Abriß über den israelisch-palästinensischen Konflikt und fordert eine Führungsrolle der USA bei dessen Beilegung. Er hält ein flammendes Plädoyer für die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union, und er streift den Streit um das iranische Atomprogramm. In der HfJS hat Fischer ein »Heimspiel«: Er hatte sich in seiner Amtszeit für eine friedliche Lösung in Nahost eingesetzt. Die Gespräche mit der israelischen Regierung und Vertretern der Palästinenser sowie sein Engagement für eine Zweistaatenlösung haben ihm viele Sympathien eingebracht. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und der Staat Israel würdigten sein Friedensengagement mit mehreren Auszeichnungen. Unter anderem ist Joschka Fischer Träger des Leo-Baeck-Preises, der jährlich vom Zentralrat der Juden in Deutschland vergeben wird.
Immer wieder hat der wortgewaltige Redner in Heidelberg die Lacher auf seiner Seite: Ob er von seinen »taubenhaftesten Freunden« spricht, ganz selbstverständlich die Diskussionsleitung übernimmt (»Ich versteh’ mich durchzusetzen«) oder über Kopftücher spricht, die nicht nur Muslime auszeichneten: »Ich kenne meine Großmutter gar nicht anders.« Nach eineinhalb Stunden mit einer lebhaften Diskussion ist alles vorbei – und der Politpensionär, der von einem Heidelberger Wissenschaftler prompt als »Kollege Fischer« angeredet wird, kann sich feiern lassen.