von Dieter Ebeling
Die Europäische Union will jetzt doch mit der radikalislamischen Hamas-Bewegung reden. Bei ihrem informellen Treffen vergangene Woche in der Festung der finnischen Kleinstadt Lappeenranta sandten mehrere Außenminister der 25 EU-Staaten ein in dieser Deutlichkeit neues Signal aus. Die Hamas, nach wie vor in der EU-Liste der Terrororganisationen, möge der von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas angestrebten Regierung der nationalen Einheit beitreten. Denn dies ist der entschei- dende Punkt einer »Wunderformel«, nach der die EU seit dem Wahlsieg der Hamas im Januar suchte.
»Wir bezeichnen das nicht als Veränderung, aber wir sagen auch nicht, daß sich nichts verändert hat«, sagt eine EU-Diplomatin. »Wenn es eine Regierung der nationalen Einheit gibt, die Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ausgehandelt hat, dann werden wir zu dieser Regierung Beziehungen haben.« EU-Chefdiplomat Javier Solana formuliert es so: »Die EU möchte mit einer Regierung der nationalen Einheit reden. Natürlich werden ihr auch Hamas-Mitglieder angehören.« Und Finnlands Außenminister Erkki Tuomioja, Gastgeber des Treffens, sagt: »Um über Frieden verhandeln zu können, müssen wir mit jedem reden, der von Bedeutung ist.«
Die neue Nahost-Formel der EU lebt von der mit ihr verbundenen Deutung. Abbas habe offiziell anerkannt, daß es seine Politik sei, das Existenzrecht Israels anzuerkennen und auf Terror zu verzichten, argumentieren EU-Diplomaten. Wenn er also eine Regierung der nationalen Einheit bilde, in der Fatah und Hamas auf der Grundlage der von Abbas propagierten Prinzipien tätig seien, dann bedeute dies, daß die Mitglieder der Regierung diese Prinzipien anerkennen.
Diese Interpretation hat zwei Vorteile: Erstens müßte die Hamas bisherigen Positionen nicht öffentlich abschwören. Zweitens könnte die EU weiter behaupten, von ihrem Grundsatz, mit niemandem zu verhandeln, der Israel beseitigen will, nicht abgewichen zu sein. Die Beteiligung an einer Regierung der nationalen Einheit würde Hamas eine Korrektur der eigenen Politik ermöglichen und damit wieder zu einem Gesprächspartner der EU machen. »Das könnte die Position der Hamas verändern«, sagt der niederländische Außenminister Benard Bot. Und sein dänischer Kollege Per Stig Møller sieht darin eine Rückkehr in den »Mainstream« der internationalen Politik und der arabischen Welt: »Wenn sie Israel anerkennen, dann können wir mit Verhandlungen beginnen.«
Mit neuem Schwung wollen die EU-Minister Bewegung in die festgefahrene Situation im Nahen Osten bringen. »Freilich sei dazu mehr Einigkeit vonnöten. »Es wäre wunderbar, wenn alle Mitgliedstaaten den selben politischen Willen hätten«, sagt EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner. Noch während der Libanonkrise war ein tiefer Riß durch die EU gegangen, und zwar in der Frage, ob es sofort einen Waffenstillstand geben sollte oder nicht.
Wie tragfähig die EU-Formel mit all ihren Konjunktiven zur Hamas-Beteiligung ist, ist nach Ansicht von Diplomaten allerdings offen. Daß Hamas noch auf der »Terrorliste« stehe, sei aber kein größeres Hindernis. Eine Diplomatin: »Auf die Liste kommt man. Und von der Liste kommt man auch wieder runter.«