von Annette Lübbers
Michael Weinberger ist müde. Erschöpft sitzt der Mann aus Nahariya in der Lobby des Intercity-Hotels in Wuppertal. Vier Wochen lang hat er keine Nacht mehr richtig durchgeschlafen. »Und das, obwohl ich jeden Tag auf der Arbeit harte Entscheidungen fällen mußte!« Michael Weinberger ist Forstinspektor. »Ich habe gesehen, wie die Bäume verbrannten, die unsere Vorfahren vor 60 Jahren gepflanzt haben«, erzählt er traurig. Zehn Prozent der Wälder im Norden Israels seien von den Katjuschas der Hisbollah zerstört worden. »Wir hatten einfach nicht genug Personal, um alle Waldbrände in den Griff zu bekommen.«
Die Wälder sind derzeit nicht das einzige Problem des vierfachen Familienvaters. Ein Anruf seiner Frau Carmella am Abend des 14. Juli ließ Michael Weinberger regelrecht nach Hause fliegen. »Ich glaube, die Reifen meines Wagens haben den Asphalt nicht berührt.« Wie viele Israelis in den vergangenen Wochen hatte er eine er-schütternde Nachricht erhalten: »Eine Katjuscha hat unser Haus getroffen.«
Die Weinbergers hatten Glück im Unglück. Die beiden erwachsenen Söhne waren nicht zu Hause, die Frau und die beiden Töchter Shavit (9) und Noga (19) hiel- ten sich im Erdgeschoß des Hauses auf und blieben unverletzt. Das Haus jedoch ist nicht mehr bewohnbar. Michael Weinberger hofft, daß das Geld von der Regierung für den Wiederaufbau reicht.
Im Speisesaal des Wuppertaler Hotels singen 120 Israelis zu den Klängen eines Akkordeons »Hevenu Schalom aleichem«. Frauen, Männer, Kinder – jüdische und drusische – sind der Einladung eines jüdischen Hoteliers aus Frankfurt am Main gefolgt. »Unser Sponsor will namentlich nicht genannt werden«, sagt Itzchak Ganor, Hauptdelegierter des Jüdischen Nationalfonds KKL für Deutschland. »Aber wir kennen ihn und sein großes Engagement für Israel.«
Möglich wurde die Erholungsreise durch die spontane Zusammenarbeit zwischen dem Jüdischen Nationalfonds und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWSt), dem Freundeskreis Beer Scheva in Wuppertal und der Jüdischen Kultusgemeinde.
Die Städte-Partnerschaft Wuppertal-Beer Scheva besteht seit knapp 30 Jahren. »Wir stehen an Eurer Seite. Ihr seid unsere Freunde«, erklärte Arno Gerlach, der Vorsitzende des Freundeskreises, in seiner kurzen Begrüßungsansprache. Zuvor hatte Leonid Goldberg, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde, die Gäste auf Hebräisch begrüßt. Die erste Gruppe war am vergangenen Freitag in der Wuppertaler Synagoge zu Gast. Für viele sei es das erste friedliche Schabbat-Essen nach dem Krieg gewesen, sagt Goldberg. »Einige haben geweint.«
Die Organisatoren hatten im Vorfeld des Besuchs zahlreiche Anfragen zu beantworten. Viele Wuppertaler wollten israelische Familien für einen Abend nach Hause einladen. Den Wünschen konnte allerdings nicht entsprochen werden. Arno Gerlach bittet um Nachsicht: »Unsere Gä-ste haben schwere Zeiten durchgemacht. Da müssen wir Verständnis dafür haben, wenn sie lieber zusammenbleiben wollen.«
Das in aller Eile arrangierte Besuchsprogramm beinhaltet neben der Teilnahme an einem Gottesdienst und einer anschließenden gemeinsamen Oneg Schabbat mit der jüdischen Gemeinde so unterschiedliche Programmpunkte wie einen Besuch im Phantasialand und im Wuppertaler Zoo –die Eintrittskarten spendete die Stadt Wuppertal – sowie eine Schiffstour auf dem Rhein und eine Fahrt nach Amsterdam. »Die Menschen sind ohne Erwartungen hierher gekommen«, sagt Itzchak Ganor. Für viele sei es die erste Auslandsreise überhaupt. »Die Fotos für ihre Reisepässe mußten sie noch im Bunker machen.«
90 Prozent der israelischen Gäste aus Haifa, Tiberias, Kiriat Jam, Kiriat Bialik, Karmiel und Nahariya wurden vom KKL ausgewählt, weil sie sich selbst keine Erholungsreise leisten können. Einige wenige erhielten die Reise als Dank für ihren Einsatz während der Raketenangriffe der Hisbollah. »Wir hatten viele freiwillige Helfer, die, statt selbst in den Bunkern Schutz zu suchen, alten Menschen halfen, in die Bunker zu kommen. Für diese mutigen Menschen ist diese Reise ein kleines Dankeschön«, erklärt Itzchak Ganor.
Arno Gerlach nutzte seine guten Beziehungen, um den Besuch der Israelis so unkompliziert wie möglich zu gestalten. Der Staatsschutz wurde informiert und die Polizei. Auch für schnelle medizinische Hilfe hat Arno Gerlach gesorgt: »Im Wuppertaler Bethesda-Krankenhaus weiß man Bescheid. Wenn hier ein Israeli medizinisch versorgt werden muß, dann wird er nicht erst lange unverständliche Formulare ausfüllen müssen.«
Auf die offizielle Begrüßung seitens der Stadt wartete die Gruppe am vergangenen Montag allerdings noch vergebens. Aber Arno Gerlach ist sich sicher, daß ein solcher Termin noch zustande kommen wird. »Politische Statements sind jetzt nicht gefordert«, betont Leonid Goldberg. Bei diesem Besuch gehe es ausschließlich um Menschen, die gelitten haben und um Familien, die ihre Häuser mit allem, was darin war, verloren haben.
Am Abend feiern die israelischen Gäste eine kleine Zeremonie, die traditionell sieben Tage nach der Hochzeit stattfindet. Für 40 Paare aus dem nördlichen Israel, die aufgrund der Krisensituation eigentlich nicht heiraten konnten, hatte der israelische Städteverband eine gemeinsame Hochzeit in Tel Aviv ausgerichtet (vgl. Jüdische Allgemeine vom 17. August). Von diesen 40 Paaren sind vier nach Wuppertal gekommen.
Michael Weinberger ist ein bißchen skeptisch, ob die deutschen Journalisten verstehen, warum die Israelis tanzen, klatschen und singen. »Wir haben das Schlimmste hinter uns, was einer Familie passieren kann: Wir haben kein Heim mehr. Wir werden Monate oder Jahre damit zu kämpfen haben.« Aber inzwischen sei er überzeugter denn je, daß sie stark genug seien weiterzumachen. »Und für uns Israelis heißt weitermachen eben auch, daß man feiert, wenn es etwas zu feiern gibt.«