von Nino Ketschagmadse
Die einen beschrieben sie als eine der weiblichsten, intelligentesten Frauen des vergangenen Jahrhunderts. Andere Zeitgenossen sahen in ihr bloß eine herrschsüchtige und sexbesessene Person, die ihre prominenten Lebensgefährten ausnutzte. Alma Mahler-Gropius-Werfel (1879-1964) selbst verstand sich wohl eher als schöpferische Muse. In jedem Fall war die gebürtige Wienerin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im deutschen und österreichischen Kunst-und Musikbetrieb scheinbar omnipräsent. Bereits in jungen Jahren soll sie an die hundert musikalische Werke komponiert haben, von denen aber nur etwa ein gutes Zehntel erhalten geblieben ist.
Bekannt wurde Alma aber vor allem durch ihre Ehen und Liaisons mit berühmten Kunstschaffenden. Der Maler Gustav Klimt machte ihr den Hof, da war sie gerade einmal 17. Dann trat Gustav Mahler in ihr Leben. Der Komponist und Wiener Operndirektor war fast doppelt so alt wie sie, dennoch wurde geheiratet, was aber für die junge Ehefrau kein Hinderungsgrund war, gleichzeitig mit dem Architekten Walter Gropius eine Affäre anzufangen. Nach Mahlers Tod und vor der Heirat mit dem Bauhaus-Großmeister hatte sie noch mit dem Maler Oskar Kokoschka eine heftige Affäre. Nach der Scheidung von Gropius schloß Alma den Ehebund mit dem Schriftsteller Franz Werfel. Mit ihm emigrierte sie später in die USA. Alkoholexzesse und antisemitische Neigungen bei gleichzeitigem Hang zu jüdischen Männern sollen weitere Kennzeichen der in ihren jungen Jahren als wunderschön gepriesenen Frau gewesen sein.
Derlei Biographisches oder Nachgesagtes sollte man als Besucher der österreichischen Theaterproduktion Alma wissen, um bei dem fulminanten »Multidrama«, das Regisseur Paulus Manker seit zehn Jahren zunächst in seiner österreichischen Heimat, dann in Venedig, Lissabon und in Los Angeles mit großem Erfolg präsentiert, nicht den Überblick zu verlieren. Denn das, was nun auch seit 21. April im Berliner Kronprinzenpalais geboten wird, stellt die Gewohnheiten eines gemeinhin passiven Theaterbesuchs gehörig auf den Kopf. Alma ist weder an einen Ort noch an einen Handlungsstrang gebunden. Vom Keller über den Hinterhof bis in die oberste Etage des Kronprinzenpalais werden sämtliche, mit viel Liebe zum Detail äußerst authentisch eingerichteten Räume bespielt. Der Zuschauer ist ständig mit in Bewegung. Immerhin gibt es gleich drei optisch und altersmäßig unterschiedliche Alma-Darstellerinnen, denen er durchgehend oder zumindest zeitweise folgen kann. So wechselt für den Betrachter ständig die Perspektive. Fast zwangsläufig schafft er sich sein eigenes Stück. Er kann direkt eben einer Alma stehen, wenn Mahler sie auffordert, als Zeichen der Liebe keine eigene Musik mehr zu schreiben. Er ist hautnah dabei, wenn der verzweifelte, kranke Komponist Sigmund Freud aufsucht, nachdem er von Almas Untreue erfahren hat. Dazu kommen extrem aufwendig inszenierte Szenen, in denen alle Zu- schauer und die drei sonst parallel agie- renden Almas gezielt zusammengeführt werden. Etwa bei dem als Leichenzug mit Glockenläuten und echter Pferdekutsche nebst echten Tieren inszenierten Begräbnis Mahlers oder bei einer Karnevalsparty, auf der der abgewieseneKokoschka eine lebensechte Alma-Puppe enthaupten läßt.
Rund vier Stunden dauert das durch die Nähe zu den Darstellern sehr intensiv wirkende Spektakel. Das ganze Ensemble spielt hervorragend, einschließlich Regisseur Paulus Manker, der den exzentrischen Kokoschka selbst darstellt. Zwischendurch gibt es eine opulente Pause, in der ein festliches Buffet mit populären Speisen aus dem Wien des frühen 20. Jahrhunderts wartet. Diese sind wie eine erlesene Getränkeauswahl im Kartenpreis von 95 € inbegriffen.
»Alma«, Kronprinzenpalais, Berlin, Unter den Linden 3. Termine: 27. bis 30. April, im Mai jeweils donnerstags bis sonntags
Info-Hotline: 030 / 2065 3790.
www.alma-mahler.at