von Thomas Meyer
Seit Montag 7 Uhr früh schweigen zwischen Israel und Libanon die Waffen. Die Feuilletons der deutschen Zeitungen waren zwei Tage schneller. Dort war bereits seit Samstag der Nahe Osten nicht mehr das große Thema. Stattdessen galt »Kehrt! Marsch!« und »Augen geradeaus« auf Günter Grass und seine spät erinnerte Mitgliedschaft in der Waffen-SS.
Zeit für einen Blick zurück auf das, was seit dem 12. Juli in den Kulturteilen zu lesen war. Was dort an Vorwurfsroutine, Blick vom intellektuellen Feldherrnhügel und Referaten aus dem Nahost-Oberseminar die Seiten füllte, war bemerkenswert. Von einer Diskussion zu sprechen fällt schwer. Autismus paßt besser. Bezüge auf andere Meinungen oder Argumente der Gegenseite waren selten: Große Gesten statt Gedanken. Der moralische Rigorismus mancher Stellungnahme aus dem »Bitte recht friedlich«-Schule war ebenso schwer erträglich wie die Unbedingtheit mancher Kritiker der Israel-Kritiker.
Nicht fehlen durften all die großen Namen, die unvermeidlich sind, wenn es im Nahen Osten kracht. Daß Prominenz allerdings nicht unbedingt bei der Analyse hilft, zeigte der auch in Deutschland lancierte Aufruf von David Grossman, Amos Oz und A. B. Yehoshua. Das hierzulande vielgelesene linksliberale Dreigestirn befand bereits vor rund zwei Wochen, daß die israelische Armee ihre Ziele erreicht habe, sich zurückziehen könne und man sich wieder dem Konflikt mit den Palästinensern widmen müsse. Das war ein bißchen viel auf einmal und dazu noch falsch. Die Armee hatte ihre Ziele längst nicht erreicht, zumal diese Ziele von offizieller Seite fast täglich neu definiert wurden. Und ein Feldzug ist nicht einfach mit dem Stempel »Erledigt. Fertig für die Ablage« beendet. Es gehört zur Tragik dieser Situation, daß Grossmans 20jähriger Sohn Uri vergangen Samstag bei einem Gefecht im Libanon gefallen ist.
Der Wunsch nach Frieden allein läßt die Waffen nicht schweigen. Ebensowenig ist die Hoffnung auf Sieg kriegsentscheidend. Die Entschiedenheit, mit der etwa Robert Menasse in der Süddeutschen Zeitung noch mehr Bombenabwürfe forderte, um die Hisbollah ein für alle Mal auszuschalten, ist nachvollziehbar. Was dabei jedoch störte war der subjektivistische Gestus, der mehr an der eigenen Befindlichkeit denn an der Lage in Israel orientiert war. Schießen, das muß man manchem intellektuellen Feldwebel immer wieder sagen, sollte, wenn überhaupt, denn doch der Zahal überlassen werden. Die versteht mehr davon.
Was allerdings nicht heißt, daß jeder, der schon einmal israelische Uniform getragen hat, dadurch automatisch qualifiziert ist. Michael Wolfssohn und Moshe Zimmermann haben ihre völlig gegensätzlichen Stellungnahmen immer wieder mit eigenen Militärerfahrungen unterfüttert. Doch ein Urteil wird nicht dadurch klüger, weil der Autor die Frage »Haben Sie gedient?« mit einem strammen »Jawoll!« beantworten kann. Ebensowenig taugt die bloße Zugehörigkeit zu einer Nation oder Religion als ausreichendes Argument für die eigene Position oder zu Widerlegung von mißliebigen Opponenten. Daß Uri Avnery Israeli ist, macht das, was er sagt, nicht automatisch richtig. (Gleiches gilt für Kronzeugen der Gegenseite selbstverständlich auch.)
Es gab aber auch Lichtblicke in den vergangenen vier Wochen. Im Deutschlandradio Kultur moderierte Marie Sagenschneider klug eine Sendung, in der sich Avi Primor und ein Mannheimer Islamwissenschaftler gegenseitig zuhörten und einander ergänzten. Sabine Peters, Autorin des bei Wallstein erschienenen Buchs Singsand. Zwischen Beer Sheba und Bethlehem verzichtete in der linken Berliner Wochenzeitung Freitag auf die sonst übliche Expertise der »Ich war schon mal in Israel«-Prosaisten, und flüchtete sich auch nicht in eine Beobachterperspektive scheinbarer Objektivität. Peters vermied auch die bei vielen Kommentatoren gängige Überidentifikation mit den Betroffenen oder das beliebte »Die Israelis sind auch nicht besser«-Mantra. Eine andere Entdeckung waren die Artikel von Judith Bernstein in der »Süddeutschen Zeitung«. Die in Jerusalem geborene und in München lebende Dolmetscherin ist eine dezidierte Kritikerin der israelischen Sicherheitspolitik. Doch sie argumentiert mit glaubwürdigem moralischen Ernst, der sich wohltuend abhebt von dem merkwürdigen Gebräu aus offenem oder verdecktem Antisemitismus, dem man in christlichen Einrichtungen um Felicitas Langer nicht erst seit diesem Krieg begegnet. Klug und klar in der Argumentation war auch die über die Hilfsorganisation Medico gestartete gemeinsame Initiative jüdischer und moslemischer Intellektueller für einen Waffenstillstand.
Jetzt herrscht erst einmal Ruhe an den Fronten. Niemand wird so naiv sein und glauben, daß deshalb im Nahen Osten jetzt der Frieden ausbricht. Aber vielleicht nimmt die Aufgeregtheit in den deutschen Feuilletons ein wenig ab.