von Tobias Müller
Viele Mitglieder der jüdischen Gemeinden Antwerpens waren überrascht, als sie von ihrer Rolle in der Strategie Filip Dewinters hörten: »Eigentlich«, so erläuterte der Fraktionsvorsitzende des Vlaams Belang, »sind wir Bündnispartner in unserem gemeinsamen Kampf gegen die fortschreitende Islamisierung.« Die Partei und namentlich Dewinter betreiben seit Längerem eine Anti- Islam-Kampagne in Antwerpen, in deren Rahmen unlängst CDs mit dem Lied »Oh nee, schon wieder eine Moschee« veröffentlicht wurden. Den Antisemitismus in Teilen der muslimischen Bevölkerung der Stadt sieht Dewinter als Amalgam zwischen Juden und der Nachfolgepartei des wegen Rassismus verbotenen Vlaams Blok.
Rahmen dieser Überlegungen war ein Briefwechsel Dewinters mit Michael Freilich, dem Chefredakteur der jüdischen Zeitschrift »Joods Actueel«. Dewinter beschwerte sich darin über die ablehnende Haltung der Redaktion gegenüber seiner Partei. Die war zwar wegen der antisemitischen Gesinnung ihrer Mitglieder wiederholt in den Schlagzeilen, doch Dewinter rühmt neuerdings das Judentum als »Teil der Wurzel unserer europäischen Zivilisation« und distanziert sich von »Neonazismus und Antisemitismus«.
Vom Gegenteil zeugen Untersuchungen, die »Joods Actueel« daraufhin vornahm und Anfang des Monats unter dem Titel »Die zehn Hauptsünden des Vlaams Belang« in einer Pressekonferenz vorstellte. Zutage kamen viele Kontakte zwischen Vlaams-Belang-Politikern und Mitgliedern neofaschistischer und neonazistischer Organisationen, Holocaustleugnern und Revisionis- ten, die Teilnahme an Nazitreffen und Besuche in Hitlers Geburtsort. Außerdem sind Fernsehbilder bekannt geworden, die Dewinter beim Besuch eines Friedhofs in Lommel zeigen, auf dem flämische Mitglieder der Waffen-SS begraben liegen. Dewinter ist zu sehen, wie er neben Skinheads steht, die den Arm zum Hitlergruß heben. Mit diesem Gruß begingen zudem mehrere Abgeordnete der flämischen Separatisten – darunter 1991 Dewinter selbst – ihre parla- mentarische Vereidigung.
Besorgte Stimmen aus der jüdischen Gemeinschaft Antwerpens, so Chefredakteur Michael Freilich, hätten davor gewarnt, solch belastendes Material gegen die größte Partei Flanderns zu veröffentlichen. »Wir dachten aber, gerade das müssen wir publizieren.« Jegliches Bündnis mit dem Vlaams Belang lehnt Freilich denn auch deutlich ab. »Solange Parteimitglieder noch immer ihre Sympathie mit Nazis und Kollaborateuren ausdrücken, haben wir keine Basis. Auch einen gemeinsamen Kampf gegen Islamisierung gibt es nicht.« Wiewohl Freilich eine »kleine Anzahl antisemitischer Vorfälle« in Antwerpen einräumt, lebe die jüdische Gemeinschaft in der Regel gut mit der muslimischen zusammen. Auch Eli Ringer, Vorsitzender des Forums der jüdischen Organisationen Flanderns, spricht sich gegen Be- ziehungen zu extremistischen Parteien aus. Gesellschaftliche Probleme durch den Ausschluss einzelner Gruppen lösen zu wollen, sei »gegen jüdische Prinzipien«, sagte er.
Die »Doppeldeutigkeit«, die Michael Freilich Dewinter vorwirft, ist bei der Partei strukturell. Der Vlaams Belang fungiert als Scharnier zwischen der bürgerlichen und der militanten Rechten und gibt sich inzwischen gemäßigter als in den radikalen Anfangszeiten. Teil dieser Strategie ist, gerade in Antwerpen, das Anlehnen an den islamkritischen Diskurs, den zahlreiche europäische Populisten führen. In diesem kulturchauvinistischen Rahmen ist Dewinter nicht der Einzige, der sich positiv auf das Judentum bezieht. Für Julien Klener, Präsident des Zentralen Israelitischen Konsistoriums Belgiens in Brüssel, ändern solche Bekenntnisse nichts. »Wie könnten mit unserer jüdischen Geschichte mit einer Partei zusammenarbeiten, die Negationisten in ihren Reihen hat? Sie sollten es den Juden selbst überlassen zu sagen, wer ihre Freunde sind und wer ihre Feinde.«