von Wladimir Struminski
Muss Ehud Olmert zurücktreten? Mit dieser Frage hat sich die israelische Öffentlichkeit im Vorfeld des jetzt fertiggestellten Libanonkriegs-Berichts beschäftigt – und wird sich mit ihr nach der Vorlage des Hunderte von Seiten umfassenden Dokuments weiter beschäftigen. (Der Bericht wurde am Mittwoch erst nach Redaktionsschluss veröffentlicht.) Ministerpräsident Olmert selbst schloss einen Rücktritt wiederholt aus. Ein von ihm für diesen Zweck geschaffener Sonderstab hat rechtzeitig für passende Erklärungen gesorgt. Erstens, so die an die Medien lancierten Botschaften aus Olmerts Umfeld, sei der Krieg kein Fehlschlag gewesen. Schließlich herrsche an der Nordgrenze Ruhe, Galiläas Hotels und Fremdenzimmer seien ausgebucht. Zudem habe Olmert persönlich dafür gesorgt, dass die während des Krieges deutlich gewordenen Schwächen inzwischen überwunden seien. Und ob Israel in der arabischen Welt wegen des Libanonkrieges als schwach empfunden werde, möge man doch Syrien fragen – eine Anspielung an den Luftangriff vom September 2007, mit dem Israel ausländischen Medienberichten zufolge einen syrischen Militärreaktor, wenn nicht gar eine Atomwaffenfabrik, dem Erdboden gleichgemacht hat.
Dagegen mahnen Kritiker »persönliche Verantwortung« an – will heißen, Olmerts Demission. Diese Forderung wird vor allem auf der Rechten laut, aber nicht nur dort. Olmerts Amtsverbleib, kritisierte der Generalsekretär der Arbeitspartei, Eitan Kabel, gefährde Israels demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien. Indessen zeigt sich gerade am Beispiel der Arbeitspartei, wie sehr die Linke zerrissen ist. So etwa sprach sich der Vertreter des parteieigenen Kibbuz-Flügels, Seew Schor, für Olmert aus. Viele Linke fürchten, dass Olmerts Rücktritt das Ende des Friedensprozesses bedeuten würde. Der Vorsitzende der Arbeitspartei, Ehud Barak, hatte Olmert früher mit dem Koalitionsbruch gedroht, erklärte vor der Vorlage des Berichts aber nur noch vage, er werde tun, »was für das Land am besten ist«. Mit Baraks Duldung nähmen die politischen Überlebenschancen des Premiers erheblich zu. Nicht minder wichtig wird die Reaktion der Medien und der Hinterbliebenen von Kriegsgefallenen sein.
Wie auch immer: Selbst wenn der Regierungschef doch noch zum Rücktritt gezwungen wird – ein Ergebnis, das man immerhin nicht ausschließen kann –, hängt die Bilanz der Untersuchungskommission nicht nur, vielleicht nicht einmal entscheidend, von Olmerts weiterer Laufbahn ab. Das vom pensionierten Richter Elijahu Winograd angeführte Gremium hat bereits durch seinen Zwischenbericht für tiefgreifende Veränderungen gesorgt. Die schonungslose Aufdeckung der Kriegsdefizite rief den Israelis wieder ins Bewusstsein, dass sicherheitspolitische Selbstzufriedenheit für ihr Land eine existenzielle Gefahr darstellt. Ohne Winograd hätte die nach dem Krieg vollzogene umfassende Aufwertung der Landesverteidigung so kaum stattgefunden. Auch die politische Moral wurde wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Damit zeigt sich auch: Mit dem Instrument der unabhängigen staatlichen Untersuchungskommission – oder, wie im vorliegenden Fall, einer mit gleichen Befugnissen ausgestatteten Regierungskommission – verfügt Israel über einen Korrekturmechanismus, um den es andere Demokratien beneiden können. Oder musste sich etwa George W. Bush wegen des Fiaskos seiner Nachkriegspolitik im Irak vor einer Kommission verantworten?