Atomprogramm

Fata Morgana

von Wladimir Struminski

Es ist nicht die feine britische Art, jemandem ins Gesicht zu sagen, er rede Unsinn. Erst recht nicht dem großen amerikanischen Cousin. Und erst recht nicht über die Medien. Genau das tat aber Londons Außenminister David Miliband. In der Financial Times erklärte er, warum die in der vergangenen Woche veröffentlichte Einschätzung der US-Regierung, der Iran habe sein Atomwaffenprogramm eingestellt, nicht stimmt. Geduldig erklärte Britanniens Chefdiplomat, bei dem von Washington für beendet gehaltenen »Atom- waffenprogramm« handele es sich lediglich um das Zusammenschmieden von Bomben beziehungsweise Gefechtssprengköpfen. Selbst wenn der Iran diesen Teil seines Programms wirklich eingestellt habe, verfolge er zwei weitere Bereiche der Kernwaffenentwicklung weiter: den Bau von Trägerraketen sowie die Urananreicherung.
Damit wäre die Teheraner Kurswende eine Fata Morgana. Wie die amerikanischen Kernwaffenexperten Valerie Lincy und Gary Milhollin erklärten, lässt sich der dritte Schritt – die Hochanreicherung von Uran und dessen Einbau in eine Bombe – binnen weniger Monate nachholen. Das erklärt, weshalb Israel an seiner Einschätzung festhält, eine iranische Atombombe könnte bereits 2009 oder 2010 gebaut werden.
Falls die Arbeiten an der Sprengkopfentwicklung überhaupt ausgesetzt wurden. Nach britischen Erkenntnissen waren die Unterhaltungen iranischer Geheimnisträger, die die US-Dienste abgehört haben, nämlich speziell für diese inszeniert. Über die Tolpatschigkeit der Weltmacht USA ärgern sich nicht nur die Briten. Auch in Nicolas Sarkozys Paris macht sich Unmut breit. Das amerikanische Dokument, so ein Präsidialsprecher, habe die französische Besorgnis nicht zerstreut. Europa gegen ein gegenüber dem Mullahregime zu nachgiebiges Washington: Das ist neu.
Auch Israel warnt davor, sich jetzt entspannt zurückzulehnen. Anfang dieser Woche bestätigte Ministerpräsident Ehud Olmert höchstpersönlich, Israel halte die amerikanischen Erkenntnisse für falsch. Wer ballistische Raketen baue, wolle sie mit Atomsprengköpfen bestücken, meint Staatspräsident Schimon Peres. All das und mehr bekam auch der amerikanische Generalstabschef Michael Mullen zu hören, der Israel am Montag dieser Woche besuchte.
Sogar in den USA selbst regt sich – noch zahm – politische Kritik. Dagegen erklärten sowohl Russland als auch China, nach dem amerikanischen Bericht seien verschärfte Iransanktionen nicht mehr angebracht. Genau das ist der Grund, aus dem die iranische Führung die amerikanische Lageeinschätzung als einen Sieg für den Iran verbucht. Nunmehr hoffen die Teheraner Atombaumeister, ihre Arbeit dank der Ehrenerklärung vom Großen Satan ungehindert fortsetzen zu können.
Dazu kann auch der Zukauf von fertigem atomwaffenfähigen Material gehören. Wie der israelische Experte Usi Ewen vermutet, hat es sich bei der von Israel im September zerstörten syrischen Atomanlage nicht etwa um einen Reaktor, sondern um ein Montagewerk für Nuklearwaffen gehandelt, von Nordkorea mit waffenfähigem Plutonium versorgt. Seine Erkenntnisse gewann Ewen aus den öffentlich zugänglichen Luftbildern der syrischen Anlage. Wenn diese Einschätzung stimmt, gibt es keinen Grund für die Annahme, dass nicht auch der Iran ähnliche Anlagen im Ausland kaufen könnte.

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