von Benjamin Hammer
Man könnte direkt Mitleid bekommen mit dem Mann auf dem Bild. Das Foto zeigt Scheich Jassin in seinem Rollstuhl, er schaut traurig. Daneben hängt eine weitere Fotografie, darauf sind die Spuren eines Raketeneinschlags zu sehen. »Israel geht es um die Unterwerfung der Palästinenser«, ist es kommentiert. Was auf der »Kölner Klagemauer« nicht zu lesen ist: Der 2004 von den Israelis getötete Scheich Jassin war der Gründer der Hamas. Der hier als zerbrechlicher kranker Mann Gezeigte war verantwortlich für zahlreiche Anschläge gegen israelische Zivilisten.
Doch nicht nur die Bilder, manche Kölner provoziert auch der Name dieser mobilen Einrichtung auf der Domplatte. Die »Klagemauer« vor dem Kölner Wahrzeichen ist seit Jahren ein Politikum. Entstanden ist sie Anfang der 90er-Jahre. Ende der 80er-Jahre hatte der Kölner Walter Herrmann seine Wohnung verloren und war aus Protest gegen die Wohnungsnot mit seinen Möbeln auf die Schildergasse gezogen. Dort bat er die Passanten, auf Papptafeln ihre Gedanken aufzuschreiben. Die Klagemauer entstand und war 1991 zum ersten Mal auf der Domplatte zu besichtigen: An Schnüren befestigten Herrmann und seine Mitstreiter zunächst Poster und Papptafeln gegen den zweiten Golfkrieg und wollten ein Zeichen für Frieden und soziale Gerechtigkeit setzen. Jeden Tag harrte Herrmann, heute 69 Jahre alt, auf der Domplatte aus, die Akzeptanz war vor allem im linken Spektrum Kölns groß und Herrmann prominent. 1998 erhielt die »Klagemauer« den Aachener Friedenspreis, Schulklassen besuchten das Projekt, sogar Reiseführer empfahlen die Installation.
Doch seitdem hat sich inhaltlich viel geändert. Die allgemeine Forderung für den Frieden gibt es nicht mehr. Heute thematisiert Herrmann bewusst ausschließlich den Nahostkonflikt – und zwar nur aus der palästinensischen Perspektive. Unter anderem fordert er mit Slogans wie »Agrarprodukte aus Israel – Nein Danke!« zum Israelboykott auf oder zeigt Bilder von palästinensischen Jugendlichen, die Katjuscharaketen tragen und kommentiert sie mit dem Hinweis »Palästinensischer Widerstand«.
Als Ursache seiner propalästinensischen Propaganda verweist der Aktivist auf eine Begegnung mit einer Palästinenserin im Jahr 2005. Seitdem setze er sich ausschließlich für die Palästinenser ein. Die israelischen Opfer des Konfliktes erwähnt Herrmann mit keinem Wort. Er polemisiert stattdessen: »Die Politik Israels führt zu Antisemitismus.«
Das geht selbst Weggefährten von Walter Herrmann zu weit. Sie haben sich in der Zwischenzeit von ihm distanziert. Auch die Synagogen-Gemeinde Köln will sich das nicht länger anschauen. Sie spricht von »unerträglichen Hetzparolen gegen Israel«. »Um ehrlich zu sein, ich meide diesen Ort mittlerweile«, sagt Abraham Lehrer, Mitglied des Gemeindevorstands. Man habe ja Verständnis, wenn jemand Kritik an Israel äußere. »Uns stört jedoch die absolute Einseitigkeit.« Besucher der Gemeinde berichteten von einer aggressiven Haltung der Organisatoren, wenn man am Stand eine pro-israelische Haltung zu erkennen gebe. Versuche, rechtlich gegen das Projekt vorzugehen, sind bislang gescheitert. Zuvor hatte sich die jüdische Gemeinde mit der Stadt Köln und dem Domkapitel beraten. »Die Sache ist zum Stillstand gekommen«, heißt es. Herrmann selbst verweist auf einen Richterspruch des Oberverwaltungsgerichtes, der ihm eine ähnliche Aktion als »Informationsstand« erlaube.
Wie aber wirkt die einseitige Berichterstattung auf die Passanten? Tag für Tag laufen Tausende am Stand vorbei. Ein Mann, etwa 75, sagt: »Vor 60 Jahren haben die selbst so was Ähnliches erlebt und jetzt machen die so was.« Auf die Frage, ob er die Juden meine und den Holocaust mit dem Nahostkonflikt vergleiche, will er nicht antworten. Er dreht sich schnell weg und verschwindet. Ein junger Mann findet die Ausstellung »viel zu einseitig«. »Das ist ein schwieriger Konflikt, ich will da beide Seiten verstehen.«