von Harald Neuber
Die Rechte, die Linke und die Mitte – diese Schemata werden seit der bürgerlichen Revolution auf politische Parteien und Gruppen angewandt. Doch sind sie überhaupt noch gültig? Eine Studie der Universität Leipzig im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat nun bestätigt, worauf immer wieder hingewiesen wurde: Rechtsextreme Einstellungen sind in Deutschland keine politische Randerscheinung; sie stoßen noch weit in der Mitte der Gesellschaft auf Akzeptanz. Wie die FES in der vergangenen Woche in Berlin mitteilte, stimmten 26,7 Prozent der 5.000 Befragten im Westen und Osten Deutschlands entsprechenden Thesen zu. Rechtsextreme Gedanken sind nach den Erkenntnissen der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig, von der die Studie im Frühjahr durchgeführt wurde, in allen Schichten, Bundesländern und Wählergruppen zu finden.
Die Ergebnisse der Leipziger Forscher überraschten mehrfach. Zum einen fanden sie heraus, daß rechte Ideen bei älteren Deutschen weitaus verbreiteter sind als in der jüngeren Generation. Dieses Ergebnis steht zum einen im Kontrast zu der Wahrnehmung des jugendlichen Skinheads – eines Prototyps, an den sich die meisten politischen Präventions- und Bildungsprogramme richten. Zum anderen sorgten deutliche Unterschiede zwischen den neuen und den alten Bundesländern für Erstaunen. So sind im alten Bundesgebiet antisemitische Vorbehalte deutlich stärker vertreten als auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Dort vertreten »nur« 6,1 Prozent der Befragten die These »Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks«. Im Westen stimmten mit dieser Aussage ganze 15,8 Prozent überein. Auch bei der Verharmlosung des Nationalsozialismus sind Ostdeutsche zurückhaltender. 5,1 Prozent von ihnen vertraten in der Umfrage die Meinung, daß die Geschichtsschreibung bei der Beurteilung des Hitler-Regimes übertreibe. Im Westen sind es 9,2 Prozent.
Die Ergebnisse der Leipziger Forscher decken sind auch mit anderen Studien. So wies der Berliner Politikwissenschaftler Richard Stöss darauf hin, daß einer eigenen Erhebung zufolge »jedes vierte Gewerkschaftsmitglied rechtsextrem eingestellt« ist. Der Mitarbeiter der Freien Uni- versität Berlin macht für diese Tendenz die Auswirkungen der Globalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt verantwortlich. Die betreffenden Kollegen »würden zwar nie an einer NPD-Demonstration teilnehmen«, trotzdem seien rassistische Vorurteile gegen ausländische Kollegen etwa auf dem Bau stark vertreten. Für den Trend nach rechts in dieser Gruppe macht Stöss den Einflußverlust der Gewerkschaften verantwortlich.
Auch der Leipziger Professor und Studienleiter Elmar Brähler meint, daß das Gefühl politischer Einflußlosigkeit rechtsextreme Einstellungen stärker begünstige als das Gefühl wirtschaftlicher Benachteiligung. Brähler warnte die demokratischen Parteien zudem vor einem zu leichtfertigen Umgang mit rechten Parolen. Die »Volksparteien hätten mit der Übernahme von mindestens in der Tendenz ausländerfeindlichen Positionen zwar diese Wählerschichten an sich binden können«. Zugleich hätten sie damit aber eine Spirale in Gang gesetzt. In den neunziger Jahren zum Beispiel hatte die Debatte über eine Begrenzung der Zuwanderung zu einer Welle ausländerfeindlicher Übergriffe im sächsischen Hoyerswerda, in Rostock, Solingen und Mölln geführt.