von Marina Maisel
Der 24. Juli 1950 ist für Elfriede Karon und Alber Alfandari ein großer Tag. Sie werden von Rabbiner Rafael David Saban in Istanbul getraut. Ihre Eltern sitzen mit ihnen am Hochzeitstisch. Brautvater Isidor Karon gehört zur kleinen Gruppe von Aschkenasen. Er stammt aus einer jüdisch-elsässischen Familie. Seine Frau Rosa, die aus Silistra im heutigen Bulgarien stammt, und die Eltern des Bräutigams sind Sefarden, deren Vorfahren nach den Vertreibungen 1492 aus Spanien und Portugal ins Osmanische Reich gekommen waren.
Die Geschichte von den Karons und Alfandaris ist eine, die an den zehn Ti- schen in der Ausstellung »Münih ve Is- tanbul« im Jüdischen Museums erzählt werden. Der Berliner Künstler Via Lewandowsky realisiert im ersten Stock des Mu- seums das Thema Istanbul als Exilort in sehr origineller Form. Die Ausstellung er- innert an einen Festsaal mit weiß gedeckten Tischen. Jeder Tisch thematisiert dabei einen Feiertag und versammelt die Lebensgeschichten von einzelnen Personen, deren Namen auf die Stühle geschrieben sind. Ein überdimensionaler Kalender weist auf persönliche und offizielle Feiertage hin, die von allen Menschen begangen werden, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort.
Als Ausgangpunkt für die Ausstellung dient ein Brief des Rabbiners Isaak Zarfati aus dem 15. Jahrhundert, in dem er die jüdischen Gemeinden in Mitteleuropa auffordert, vor den Pogromen und Verfolgungen zu fliehen und ins Osmanische Reich zu kommen. »Hier kann jeder unter seinem Feigenbaum und seinem Weinstocke ruhig leben«, schreibt er.
Die Flucht von West nach Ost, vom ka- tholischen München ins muslimische Is- tanbul und die Lebensgeschichten von Menschen, die zwischen 1933 und 1945 in Istanbul ihr Exil fanden, wird in der Ausstellung in verschiedenen Aspekten thematisiert: als fernes und als elitäres, als zufälliges und auch als schwieriges Exil.
Jutta Fleckenstein, die Kuratorin der Ausstellung, recherchierte nach Münchner jüdischen Familien, die in die Türkei emigriert waren. Sieben Familiengeschichten trug sie für die Ausstellung zusammen. Ein Werbeschild aus Glas führt zu Isidor Karon, der schon vor 1933 nach Istanbul kam und dort eine »Deutsche Buchhandlung« eröffnete. Sein Enkel wohnt und arbeitet heute in München.