Herr Bodemann, es ist viel vom Kampf der Kulturen die Rede. Sie dagegen betonen in einer Studie Gemeinsamkeiten von Türken und Juden. Welche sind das?
bodemann: Wenn wir uns zum Beispiel die religiösen Türken in Deutschland ansehen, stellen wir fest, daß sie sich an der jüdischen Gemeinschaft ausrichten, obwohl sie nicht gerade Sympathien fürs Judentum haben müssen. Beispielsweise orientieren sie sich mit Bezug auf ihr rituelles Schlachten, Halal, an der Kaschrut. Sie dient als Muster, um sich zu integrieren. Juden haben eine Vorbildfunktion, selbst sprachlich. »Zentralrat der Muslime« oder »Türkische Gemeinde zu Berlin«, solche Begriffe sind an jüdische Originale angelehnt.
Was steckt dahinter?
bodemann: Man erhofft sich dadurch Legitimation und dokumentiert: »Wir möchten genauso behandelt werden.« Die Türken wollen sich hier so etablieren wie die Juden. Vor allem die Säkularen sehen die jüdische Integration als Erfolgsgeschichte an. Von religiöser Seite geht es um gleiche Rechte. Da ist die jüdische Gemeinschaft als die historisch wichtigste minoritäre Religionsgemeinschaft ein wichtiger Bezugspunkt. Egal, ob türkische Organisationen religiös oder laizistisch sind: Sie wollen sich integrieren, und deshalb verlangen sie denselben Status wie die bereits integrierten Juden.
Das könnte dafür sprechen, daß türkische Gruppen sich als Konkurrenten der Juden sehen und nicht als Partner ...
bodemann: Ich glaube, daß ein großes Interesse besteht, sich mit den Juden zu identifizieren und ein partnerschaftliches Verhältnis aufzubauen. Gedenkveranstaltungen zum Anschlag in Mölln 1992 beispielweise ähneln denen, die jedes Jahr an die Novemberpogrome 1938 erinnern. Nicht von ungefähr werden jüdische Vertreter zum Mölln-Gedenken eingeladen.
Das ist die offizielle Seite. An der Basis geht es oft wenig freundschaftlich zu ...
bodemann: Natürlich muß man diesen Unterschied im Auge haben. Wir beziehen uns auf die deutsch-türkische Führung, nicht auf die Basis. Nehmen wir die Organisation Mili Görüs, die vom Verfassungsschutz als gefährlich eingestuft wird. Wenn Sie mit den führenden Leuten hierzulande sprechen, werden Sie erstaunt sein, wie offen die sind, gegenüber Juden, und für demokratische Grundsätze. Da ist ein großer Unterschied zu dem, was Mili Görüs-Vertreter in der Türkei sagen mögen.
Sie nehmen Mili Görüs in Schutz?
bodemann: Der Verfassungsschutz agiert wie ein schlechter Klempner. Er sieht ein Leck und schließt daraus, alles ist kaputt. Aber man muß differenzieren. Die deutsche Mili-Görüs-Führung kritisiert durchaus, was in der Türkei zuweilen läuft.
Was ist mit Islamismus und Judenhaß unter türkischen Migranten in Deutschland?
bodemann: Natürlich gibt es unter Moslems Antisemitismus, das ist gar keine Frage. Aber zunächst gibt es eine starke Islamphobie in diesem Land, die übrigens oft mit Antisemitismus zusammenläuft. Mich interessiert, was die führenden Persönlichkeiten und Gruppen repräsentieren, und da werden sie kaum eine Organisation finden, die offener und judenfreundlicher ist als etwa der Türkische Bund Berlin-Brandenburg. Die sehen eine gemeinsame Bedrohung von Türken und Juden.
Solche Gruppen machen nur einen Bruchteil der muslimischen Gemeinschaft aus ...
bodemann: Der Fehler ist, daß zu wenig getan wird, um den Einfluß dieser demokratischen Kräfte zu steigern. Mit ihnen wird zu wenig gesprochen, auch von jüdischer Seite. Warum gibt es diese Gesprä- che nicht?
Sagen Sie es uns.
bodemann: Im Fall Mili Görüs ist der Grund, daß die Organisation im Verfassungsschutzbericht steht. Ich halte das für falsch. In den Gesprächen, die ich mit Mili-Görüs-Vertretern geführt habe, hatte ich nie das Gefühl, daß sie sich tarnen. Das Interesse am Dialog mit jüdischen Vertretern wirkte glaubwürdig. Aber solche Dialoge kommen nicht zustande.
Die Differenzen sind wohl zu groß ...
bodemann: Wir sollten nicht Differenzen in den Mittelpunkt stellen, sondern das, was Türken und Juden in Deutschland gemeinsam haben. Zum Beispiel, daß beide mit Rassismus konfrontiert sind. Ich erinnere mich an ein Graffito in Berlin, das ich für symptomatisch halte: »Was die Juden hinter sich haben, haben die Türken noch vor sich.« Sowohl Islamphobie als auch Judenfeindschaft haben zugenommen. Es gab etwa eine Karikatur im »Stern« zum EU-Beitritt der Türkei, über die Vural Öger, ein deutsch-türkischer Europa-Abgeordneter schrieb, sie hätte auch im »Stürmer« erscheinen können – nur sei die »jüdische Nase« durch den »türkischen Schnurr- bart« ersetzt worden. Gebildetere Türken sind sich solcher Parallelen bewußt und lehnen sich an jüdische Erfahrungen an.
Fritz Kuhn von den Grünen ist kein Türke und trotzdem hat er die dänischen Mohammed-Karikaturen mit »Stürmer«-Zeichnungen verglichen. Das scheint in Deutschland allgemein üblich. Insofern lehnen sich Türken eher an den nichtjüdischen deutschen Mainstream an als an die jüdische Minderheit, wenn sie solche Vergleiche wählen, oder?
bodemann: Aber bei den Türken ist offensichtlich, warum sie gerade diese Vergleiche wählen. Sie sind eine Minorität, die Rassismus erlebt. Die Parallele, die sie finden, sind jüdische Erfahrungen, und hier sind die Deutschen sensibel.
Davon ist bei Besuchern des Kinofilms »Tal der Wölfe« eher wenig zu spüren ...
bodemann: Ich habe mich gerade erst mit Vertretern von Mili Görüs über den Film »Tal der Wölfe« unterhalten. Die lachen darüber und sagen, das ist billiges Gewäsch. Aber sie wissen auch: »Unsere Jungs gehen mit Begeisterung in diesen Film.« Das ist gerade bei Jugendlichen mit geringer Schulbildung nicht überraschend.
Zeigt das nicht, wie sehr die säkular-türkische Gemeinschaft unter dem Druck der Fundamentalisten steht?
bodemann: Richtig ist, daß es gravierende Unterschiede unter den Türken gibt, etwa zwischen Laizisten und Religiösen, aber auch zwischen Kurden und Aleviten. Es gibt darüber hinaus einen gewissen Bruch zwischen Türken und Arabern. Türkische Organisationen haben sich deutlich von arabisch-fundamentalistischen Aktionen wie Selbstmordanschlägen distanziert, sowohl in Deutschland als auch in der Türkei. Gerade deshalb halte ich es für wichtig, daß von jüdischer Seite noch mehr versucht wird, die Türken für eigene Interessen zu gewinnen. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn jüdische Gruppen türkische Vertreter auf Israelreisen mitnehmen würden.
Das Gespräch führten Christian Böhme und Tobias Kaufmann.