Herr Karmakar, was zeichnet einen guten Regisseur aus?
karmakar: Die Frage kann ich Ihnen gar nicht richtig beantworten. Es gibt so viele gute Regisseure, die mit ganz unterschiedlichen Methoden arbeiten. Wichtig ist, wie der Inhalt zur Form gesetzt wird. Es kommt auf deren Verhältnis zueinander an.
In Ihrem aktuellen Film »Hamburger Lektionen« lassen Sie den Schauspieler Manfred Zapatka zwei Hasspredigten des Imams Mohammed Fazazi Wort für Wort vorlesen. Das Ganze dauert mehr als zwei Stunden, Zapatka rezitiert den Text in einem kahlen Studio, es gibt nur drei, vier verschiedene Kamera-Einstellungen. Sind Sie ein Minimalist?
karmakar: Im Vergleich zu gängigen Kinoproduktionen, zu gängigen Narrativen wirkt es minimalistisch. Das stimmt schon. Wichtig ist mir, dass jeder Inhalt seine eigene Form bekommt. Das kann eben auch ein Film sein, wo einer nur auf einem Stuhl sitzt und vorliest. Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, die Geschichte auf diese Art zu erzählen. Ich denke, dass man auf alle Dinge, die vom Verständnis des Inhalts ablenken könnten, verzichten sollte. Ich gebe dem Publikum bei den »Hamburger Lektionen« keine Fluchtmöglichkeiten.
Die »Hamburger Lektionen« muten eher wie gefilmtes Sprechtheater an. Auf so einen Monolog muss man sich ganz bewusst einlassen. Verlangen Sie nicht allzu viel vom Zuschauer?
karmakar: Ich weiß gar nicht, ob ich so viel verlange. Wie soll ein Film aussehen, der sich mit Terrorismus beschäftigt? Und wie attraktiv soll man eine Geschichte gestalten, in der jemand zum Morden aufruft? Meine Art des Herangehens ist vielleicht ungewohnt. Allein die Tatsache, dass meine Dokumentation ohne Archivmaterial auskommt, ist für viele bereits eine Irritation.
Mehr als zwei Stunden geht es um die Weltsicht eines muslimischen Extremisten. Warum sollte man genau zuhören?
karmakar: Da gibt es sicherlich viele Gründe. Einer der Auslöser des Filmes war ein Gefühl, das ich hatte, als ich im Juli 2005 durch einen Zeitungsbericht von Dirk Laabs in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf die Rede des Imams aufmerksam wurde: Der radikale, gewaltbereite Islamismus ist gar nicht mehr Teil unserer Gesellschaft. In London hatte es gerade den großen Anschlag gegeben. Und da fiel mir wieder ein, dass es bei den Attentaten in Madrid ein Jahr zuvor ganz ähnlich war: In Deutschland hatte das öffentliche Bewusstsein schon längst die Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta und den 11. September 2001 exterritorialisiert. Es ist aber wichtig zu begreifen, dass das alles Teil unserer Geschichte ist. Ein weiterer Grund für meinen Film: Ich wollte diese Reden einfach mal vollständig dokumentieren. Mal den Kontext wahrnehmen, in dem das womöglich Bedrohliche zutage tritt. Ich erhoffe mir davon einen größeren Erkenntnisgewinn als beispielsweise durch einen noch so guten Leitartikel.
Aber das ganze Gedankengebäude ist schwer zu fassen. Minutenlang geht es um religiöse Ratschläge für den Alltag, und dann gibt es kurze Exkurse darüber, wie schlimm die USA, Israel und die Juden sind und wie sehr die Muslime in aller Welt unter der Ausbeutung des Westens zu leiden haben.
karmakar: Genau das nimmt uns die Gewissheit, die Gewalt würde zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt kommen. Ein Verbrecher ist nicht den ganzen Tag verbrecherisch. Koranexegese und Alltagsprobleme stehen neben dem Aufruf, Banken auszurauben und Pässe zu fälschen.
Deutsche Dschihadisten, ein vereitelter Anschlag, eine abgesetzte Idomeneo-Inszenierung, Streit um Moscheebauten –»Hamburger Lektionen« könnte kaum aktueller sein. Dennoch ist das Interesse der Kinobesucher nicht so groß. Woran liegt das?
karmakar: Sie haben recht. Die positive Resonanz auf den Film und das Interesse des Publikums stehen in keinem Verhältnis. Nun kann man darüber spekulieren, woran das liegen könnte. An der Form womöglich.
Vielleicht ist es das Thema als solches.
karmakar: Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass es eine Relation gibt zwischen der Häufigkeit, mit der das Thema in der Öffentlichkeit behandelt wird und dem Interesse, sich mit dem Islamismus auseinanderzusetzen. Das heißt: Je mehr dazu veröffentlicht wird, umso stärker ist das Entbindungs- gefühl. Nach dem Motto: Es beschäftigen sich schon so viele Menschen damit, da kann ich beruhigt in die Kneipe gehen. Und ich bin davon überzeugt, dass die Kulturschaffenden das Thema Islamismus an die Politik delegiert haben.
Die deutsche Gesellschaft ist sich der Bedrohung durch den Islamismus nicht bewusst?
karmakar: Wer sehen will, kann sehen. Man bleibt aber lieber davor stehen und sagt dankbar: Wow, toller Artikel! Den Schritt, sich selbst ein Urteil zu bilden, den macht kaum jemand.
Ist der Film »Hamburger Lektionen« Ihr Beitrag zur Aufklärung?
karmakar: Das klingt viel zu bedeutsam. Ich habe in meinen bisherigen Arbeiten immer versucht zu zeigen, dass das, was uns nicht behagt oder bedrohlich erscheint und als etwas Unbegreifliches dargestellt wird, eine Struktur, eine innere Logik hat.
Machen wir uns ein falsches Bild vom Islamismus?
karmakar: Ich glaube, dass viele Reaktionen automatisiert sind. Bis zu den Quellen, zum Beispiel dem Inhalt einer sogenannten Hasspredigt, dringt man gar nicht mehr vor.
Quellenarbeit ist Ihr Metier. Im »Himmler-Projekt« lassen Sie Manfred Zapatka mehr als drei Stunden lang Heinrich Himmlers berüchtigte »Posener-Rede« vorlesen, in der es ganz offen um den Judenmord geht. Erst ein mörderischer SS-Scherge, jetzt ein Islamist, der Hass predigt – gibt es ideologische Berührungspunkte zwischen Islamismus und Nationalsozialismus?
karmakar: Da muss man sehr vorsichtig sein. Sicherlich gibt es Bezüge zwischen der Rede Himmlers und den Lektionen Fazazis in der Präsentation und Struktur geschlossener Glaubenssysteme.
Totalitäre Systeme ...
karmakar: Man kann sie totalitär nennen. Es sind Systeme, aus denen zum Beispiel ein Absolutheitsanspruch abgeleitet wird: absolut im Recht zu sein, einer auserwählten Avantgarde anzugehören, die zum vermeintlichen Wohl der Allgemeinheit Dinge tut, die mörderische Entscheidungen miteinschließen. Himmler und Fazazi verbindet auch das Bewusstsein, Verbrecherisches zu tun, das gerechtfertigt werden muss.
Das »Himmler-Projekt« (2000), »Land der Vernichtung« (2004): Sie haben sich als Regisseur mehrfach mit dem Mord an den europäischen Juden auseinandergesetzt. Woher kommt das Interesse an diesem Thema?
karmakar: Mir geht es immer um die Frage: In welcher Gesellschaft lebe ich? Vergangenheitspolitische Diskurse und der Umgang mit der Schoa sind nun mal wesentliche Elemente unserer Gesellschaft.
Haben Sie durch Ihre Arbeit mehr »begriffen«?
karmakar: Es gibt kein definitives Begreifen, sondern nur die fortwährende Auseinandersetzung mit einem Sujet, die das Bedürfnis nach Aufklärung stillen kann. Wozu ist der Mensch fähig? Eine solche Frage interessiert mich.
Fast jeden Tag gibt es im Fernsehen eine Dokumentation über die NS-Zeit oder den Holocaust. Haben wir da immer noch was nachzuholen?
karmakar: Es gab schon in den fünfziger und sechziger Jahren Filme, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema »Drittes Reich« und Judenverfolgung beschäftigt haben. Ich weiß nicht, ob da etwas nachgeholt werden muss. Ich frage mich jedoch, ob viele dieser Arbeiten tatsächlich etwas mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu tun haben. Meist spielen die Filme nur vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus. Aber sie erzählen nichts über diese Zeit. Nur, wir denken: Indem wir die Filme ansehen, bekommen wir eine Lektion in Zivilcourage erteilt und fühlen uns dann besser. Filme über die Verbrechen der Wehrmacht? Fehlanzeige. Stattdessen Filme über den Untergang der Gustloff oder die Vertreibung nach dem Krieg.
In den Medien, besonders im Fernsehen, sind Dokumentationen mit fiktiven Elementen allgegenwärtig. Zeichnen sie ein falsches Bild von der NS-Zeit?
karmakar: Ich würde schon sagen, dass sie ein sehr eingeschränktes Bild zeigen. Das gilt nicht nur für die NS-Zeit. Wie wird der Völkermord in Ruanda im Film rezipiert? Wann sind wir überhaupt bereit, uns mit diesem Genozid zu beschäftigen? Eigentlich nur dann, wenn die Geschichte so erzählt wird, dass wir mit einem guten Gefühl nach Hause gehen können. Das sind Beruhigungsstrategien. Und die entbinden uns von der Auseinandersetzung mit dem Kern des Problems. Das ist gefährlich, weil es auch in die Schule einsickert. Da wird dann eine Heldin genutzt, um etwas über den Nationalsozialismus zu vermitteln.
Sie arbeiten derzeit an einem neuen Spielfilm. Der Arbeitstitel lautet: »Ich habe mich, und das war mir möglich, bemüht, nur Kinder zu erschießen.« Es geht um das Hamburger Polizeibataillon 101, das in Polen Juden ermordet hat. Was für ein Film wird das werden?
karmakar: Ein Spielfilm mit voraussichtlich zwei Ebenen. Zum einen geht es darum, was diese »ganz normalen Männer« im Distrikt Lublin getan haben. Zum anderen geht es um die strafrechtliche Auseinandersetzung damit in der Bundesrepublik der sechziger und siebziger Jahre. Mehr möchte ich noch nicht verraten.
Hassprediger, Himmler, mordende Polizisten: Fasziniert Sie das Böse?
karmakar: Nein, das ist nichts Faszinierendes. Es macht keinen Spaß, sich mit diesen Menschen zu beschäftigen. Das ist eher ziemlich unangenehm.
Wollen Sie zeigen, wozu Menschen fähig sind?
karmakar: Ich will, ohne etwas abschwächen zu wollen, nur sagen, dass das ein Teil des Lebens ist. Wir produzieren doch fortwährend Ideale von Menschen. Und sind dann völlig irritiert, dass sie ganz anders sind. Und das wird vollkommen verdrängt. Ein Beispiel: Da stehen die Männer des Polizeibataillons 101 vor Gericht wegen ungeheurer Verbrechen. Es geht um Mord. Und was machen deren Frauen? Lassen sie sich scheiden? Nein! Sie sagen stattdessen: Das kann alles gar nicht sein. Dieser Mann, der Vater meiner Kinder, kann so etwas nicht getan haben.
Das Gespräch führte Christian Böhme.