Noch ganz unter dem Eindruck des Filmausschnittes von »50 Jahre Babi Jar« von 1991 wurde das Thema von drei verschiedenen Seiten beleuchtet. Auf dem Podium sprachen der Autor des Films, der Journalist und Programmbeauftragte des Bayerischen Rundfunks, Professor Andreas Bönte, der aus der früheren Sowjetunion stam- mende und Vorsitzender des Vereins »Phönix aus der Asche« Semen Moshkovych und Michael Wolffsohn, Professor für neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Moderiert wurde die Runde von Julia Smilga.
Zunächst erläuterte Bönte wie es zu dem Film kam. Bei einer Reise mit Simon Snopkowski sel. A. anlässlich des 50. Jahrestages des Massakers von Babi Jar 1991 begannen die Filmarbeiten. Das historische Material stammt aus sowjetischen Archiven und Museen in Kiew. An den Streifen waren sie mithilfe einer Frau gekommen, die zu dem Team sagte: »Ich bin Jüdin. Das ist ein Dienst an meinem Volk.«
Mit dieser Begegnung war die Diskussion schon mittendrin in der Rezeption des Verbrechens. Damals waren die Opfer grundsätzlich als Kommunisten dargestellt. »Was mich erschüttert hat war die Tatsache, dass da keine jüdische Gedenkstätte zu sehen war«, sagte Bönte. Das konnte Moshkovych nur bestätigen: Nicht nur, dass es lange Zeit kein Denkmal für jüdische Opfer gab, es war sogar lange Zeit verboten, über das Massaker an Juden in Babi Jar zu reden.
Entwürfe für ein Denkmal hätten zwar schon in den Jahren 1948/49 existiert. Doch aufgrund der antisemitischen Kampagne unter Stalin habe man sehr lange nicht gewusst, was sich in Babi Jar ereignet habe, bis Jewtuschenko 1961 sein Gedicht veröffentlicht hat. 1967 wurde dann ein erstes Denkmal aufgestellt, doch auch da fiel kein Wort zu den jüdischen Opfern. Seit 1991 steht eine Menora auf dem Platz, auf dem Juden und auch Nichtjuden ermordet worden sind. »Nach wie vor aber wird dieses Denkmal geschändet. Es gibt keine Wache dort«, betont Moshkovych. Mit der Frage nach einem Zusammenhang des Angriffs auf die Sowjetunion und die totale Judenvernichtung in Europa wandte sich Julia Smilga an Michael Wolffsohn. »Der Zusammenhang ist noch enger als man sich vorstellen kann,« antwortete der Historiker. »Es ist der Beginn der Massenvernichtung von Juden. Diese wird gerade durch den Wendepunk Babi Jar deutlich.« Dies war das bis zu diesem Zeitpunkt größte Massaker. »Teure« Patronen sollten später in Auschwitz durch »billigeres« Gas ersetzt werden.
Nach dem Krieg wurden auch in den Nürnberger Prozessen nur wenige der Täter bestraft. Für die Diskussionsrunde war einer der Gründe für eine mangelnde Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit die Orientierung auf die Zukunft. In den 50er-Jahren wollte man vergessen, um nach vorne zu schauen. Ein Rückblick, der mit Juden zusammenhing, war dabei störend. Semen Moshkovych hat den Verein »Phönix aus der Asche« gegründet, der sich auch noch Überlebender der Schoa annimmt. Bönte dokumentiert Zeitzeugenberichte für ein »Archiv der Zukunft«. Es ist notwendig, auch das zu zeigen, was sich in der Gegenwart abspielt. Dabei, so Wolffsohn, müsse sich das Gedenken sowohl an die jüdische wie die nichtjüdische Öffentlichkeit richten.
Die Verpflichtung, nicht zu vergessen und das Vergessen nicht zuzulassen, und zwar alljährlich, war das Resümee des Podiumsgesprächs. Miryam Gümbel
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