von Alexander Kröger
Eine leichte Brise weht den Geruch von frischem Mörtel über die Baustelle. In der Herforder Komturstraße stehen auf einem Gerüst drei Maurer und schichten Stein auf Stein. Ein vierter Arbeiter bedient den Kran und der fünfte packt weitere Steine auf eine Palette, die der Kran aufs Gerüst hievt. »Die Männer sind fleißig, wir liegen sehr gut in der Zeit«, sagt Harry Rothe, der zufrieden das Geschehen beobachtet.
Die jüdische Gemeinde Herford-Detmold lässt in der ostwestfälischen Stadt eine neue Synagoge errichten – an der gleichen Stelle, an der bis zum Novemberpogrom 1938 eine stand. Rund 1,7 Millionen Euro wird das Projekt voraussichtlich kosten. »Die Finanzierung ist gesichert«, betont Gemeindevorsitzender Rothe. Ein Drittel der Kosten übernimmt das Land Nordrhein-Westfalen, ein weiteres Drittel die Städte Herford und Detmold gemeinsam mit den Kreisen Herford und Lippe. Rund 390.000 Euro spendeten Gewerbetreibende, Industrielle und Privatpersonen. Hinzu kommt ein Eigenanteil von 175.000 Euro, finanziert vom jüdischen Gemeindefonds und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe.
Der offizielle Spatenstich war Ende Mai. Seitdem ging es zielstrebig voran. Bislang gab es nur zu Beginn ein kniffliges Problem, das jedoch schnell behoben werden konnte: Der Bauplatz ist nicht geeignet für einfache Fundamente, deswegen musste eine Spezialfirma 41 Stahlbetonpfähle in den Untergrund bohren. Auf diesem Untergrund ruhen jetzt sicher das Keller- und Erdgeschoss. Im Moment errichten die Arbeiter gerade die oberste Etage. Jedes Stockwerk hat etwa 140 Quadratmeter. Im Keller ist unter anderem die koschere Küche geplant; das Erdgeschoss soll später ein Kulturzentrum beherbergen, in dem Platz genug ist für Tische und 140 Stühle. »Wir wol- len keine fremden Räume mehr anmieten«, begründet Rothe die großzügige Planung. Ins Obergeschoss kommt der Betsaal mit einem Tonnengewölbe als Decke. Dort soll der Himmel von Jerusalem mit 248 Sternen nachgebildet werden. Die Sitzbänke lassen die Bauherren aus Zedernholz schreinern, das aus dem Libanon importiert wird. Die Fenster, gebildet aus zahlreichen blauen und weißen Tränen, eingerahmt von einer Bleiverglasung und ummantelt von Sicherheitsglas – sollen die Millionen vergossenen Tränen symbolisieren. Alle drei Stockwerke verbindet nicht nur ein Treppenhaus, sondern behindertengerecht auch ein Fahrstuhl. Über dem Eingang des im neugotischen Stil errichteten Gebäudes wird künf- tig wieder der Davidstern thronen. Der vermeintlich architektonisch »alte« Baustil sorgte zunächst für Irritationen im städtischen Bauausschuss. Warum denn nichts Modernes geplant sei, hätten Ausschussmitglieder gefragt, berichtet Rothe. »Wir wollen die Synagoge an der gleichen Stelle und im gleichen Stil wie früher bauen«, lautete die Antwort. Dafür gab’s dann eine städtebauliche Sondergenehmigung.
Für den 12. Dezember ist das Richtfest geplant, gleichzeitig wird die offizielle Grundsteinlegung nachgeholt. In den vergangenen Monaten fand man dafür keine Zeit. Anfang 2009 geht’s weiter mit dem Innenausbau. »Wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, kann die Gemeinde ihre neue Synagoge im Spätherbst einweihen«, kündigt Architekt Paul-Gerhard Dahlmeier an, der das Bauprojekt gemeinsam mit seinen Kollegen Marc und Rolf Recksiek leitet. Das hört der 71-jährige Harry Rothe gerne. Seit 27 Jahren gehört er dem Gemeindevorstand an, vor neun Jahren übernahm er den Vorsitz. Gemeinsam mit Ruben Heinemann, der seitens der jüdischen Gemeinde das Projekt koordiniert, steckt Rothe sehr viel Zeit und Herzblut in die neue Synagoge.
Bis um 1306 lassen sich die jüdischen Spuren in der ehemaligen Hansestadt zurückverfolgen. Nach dem Naziterror kehrten nur wenige Überlebende zurück. Deswegen vereinten sich die westfälischen Her- forder mit den lippischen Detmoldern zu einer Gemeinde. Im historischen jüdischen Gemeindehaus an der Komturstraße errichteten sie einen Betraum und feierten gemeinsam mit Juden aus den umliegenden Orten Gottesdienste. Seit Langem war ein Wiederaufbau der von Nazis zerstörten alten Synagoge im Gespräch. Sie stand schräg neben dem Gemeindehaus und gegenüber der katholischen Kirche in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums. Doch erst Anfang der 90er-Jahre nahm die Diskussion Fahrt auf. Durch den Zuzug von Kontingentflüchtlingen wuchs die Gemeinde auf heute 106 Mitglieder. Rund 92 Prozent von ihnen stammen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Die Zusammenarbeit zwischen neuen und alten Gemeindemitgliedern sei erfreulich gut. Es gebe in Herford überhaupt keine Spannungen, erzählt Harry Rothe.
Allerdings stieß mit dem Mitgliederzuwachs das Gemeindehaus schnell an seine Grenzen, im derzeitigen Synagogenraum haben nur 28 Gläubige Platz. Das Problem wird durch den Neubau bald gelöst sein. Vielleicht entsteht dann unter anderem auch ein jüdischer Freizeittreff.