Frau Halimi, Sie waren in der Nacht zum Samstag nicht im Gerichtssaal. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem Urteil erfuhren?
Ich war sehr enttäuscht. Schon während des Prozesses hatte ich ein ungutes Gefühl, weil der antisemitische Charakter der Tat nicht genügend hervorgehoben wurde. Der Staatsanwalt hat erklärt, das Urteil werde entsprechend der Hierarchie der Verantwortung der einzelnen Angeklagten gefällt. Er sagte, Fofanas gewaltbereiter Antisemitismus müsse vom »banalen« Antisemitismus der anderen Angeklagten unterschieden werden. Für mich hat Antisemitismus immer eine gewaltbereite Komponente. Das kann nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.
Was erhoffen Sie sich konkret von einem neuen Prozess?
Dass die Strafen zumindest den Forderungen der Staatsanwaltschaft entsprechen. Denn ein paar kommen ja schon in ein paar Monaten wieder aus dem Gefängnis. Das darf nicht sein. Allein die Brutalität, mit der Ilan getötet wurde, rechtfertigt einen neuen Prozess.
In Bezug auf die Neuaufnahme des Prozesses haben die Gewerkschaften der Staatsanwälte auch von einem »Racheakt« seitens der Klägerseite sowie der jüdischen Gemeinschaft gesprochen. Sie werfen der Justizministerin vor, sie hätte dem Druck »einer Lobby« nachgegeben.
Das ist nicht wahr. Erstens geht es nicht um Rache, weil mein Sohn bereits unter der Erde liegt. Mir kommt es vielmehr darauf an, dass mit dem Urteil ein Beispiel aufgezeigt wird, das der Tatsache gerecht wird, dass Ilan vor seinem Tod 24 Tage lang die Hölle auf Erden erlebt hat.
Wenn Sie Youssouf Fofana sehen, was geht da in Ihnen vor?
Ich bin mit meinen Kindern fast täglich zu den Prozessen gegangen, um den Angeklagten ins Gesicht zu sehen. Denn es war ja nicht nur Fofana. Der hätte ohne seine Bande von Gehilfen nämlich überhaupt nichts tun können. Und als ich diese jungen Leuten so angesehen habe, konnte ich darin nichts Menschliches erkennen. Das hat mir wirklich Angst gemacht.
Sind Sie einmal nach Bagneux gefahren, an den Ort, wo ihr Sohn gefangen gehalten wurde?
Vor drei Jahren habe ich mir gedacht, ich fahre hin, aber dann hatte ich einfach nicht die Kraft dazu. Ich leide unter unbeschreiblichen Schuldgefühlen. Ich habe meinen Sohn nicht retten können. Mit diesem schlimmen Gedanken muss ich jetzt leben.