von Micha Guttmann
Karneval liegt hinter uns, Purim vor uns. Ein guter Zeitpunkt, sich Gedanken über Humor und Witz zu machen. Immer öfter wird der Vorwurf laut, Juden in Deutschland seien »Spaßbremsen«. Zum Beispiel, als es im Oktober 2007 Proteste gegen das »Nazometer« gab, das Harald Schmidt in seiner Sendung aufstellte. Der Apparat schlug immer dann Alarm, wenn Begriffe genannt wurden, die Schmidt im Hinblick auf die nationalsozialistische Vergangenheit als »grenzwertig« ansah. So meldete sich das »Nazometer«, als Moderationspartner Oliver Pocher von einem »Gasherd« und vom »Duschen« sprach. Wenig Verständnis für seine Art Humor fand auch der Musiker DJ Tommek, der vor dem Beginn einer neuen Staffel des »Dschungelcamps« in einem australischen Hotel die rechte Hand gehoben und die erste Strophe des Deutschlandliedes gesungen hatte. Nach seinem Rauswurf bei RTL zeigte er sich betroffen und bezeichnete seinen Humor kleinlaut als »niveaulos und dummes Witz-Gelaber«.
Selbstverständlich sind weder Harald Schmidt noch DJ Tommek Antisemiten. Auch die meisten anderen Humoristen, die Hitler und die Nazizeit bemühen, um Analogien zu heutigen Entwicklungen aufzuzeigen oder »Tabus« im Umgang zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland offenzulegen, wollen die Verbrechen im »Dritten Reich« nicht leugnen. Aber es gibt eben doch Grenzen. Nur ist es schwierig, sie zu ziehen. Humor ist eine Darstellungsform der Kunst. Er darf geschmacklos sein, durch Überraschung und Übertreibung wirken. Und er darf sich über die heute geforderte Political Correctness hinwegsetzen. Humor darf also – fast – alles.
Die Grenzen sind allerdings nicht unverrückbar. Sie gelten ganz sicher dort, wo der Humor Ideologien und Stereotypen eher bedient als sie bloßzustellen, wo er Verbrechen und Vorurteile verharmlost, wo er Opfer wieder zu Opfern, zum Gespött des Publikums macht. Diese Grenzüberschreitung erschwert den Überlebenden der Schoa und ihren Kindern, über diese Witze (mit) zu lachen. Mit Spaßbremsen hat das nichts zu tun. Es ist auch völlig gleichgültig, ob solche Scherze von Juden oder Nichtjuden gemacht werden. Es kommt allein auf die Wirkung an, auch wenn ein junger Stand-up-Comedian jetzt ein Buch mit dem Titel Ich darf das, ich bin Jude geschrieben hat. Auch jüdische Humoristen müssen Grenzen einhalten. Das hat nichts mit den Traditionen des so oft bemühten jüdischen Humors zu tun. Er hat seine Wurzeln in den desaströsen Lebensumständen, denen Juden über Jahrhunderte unterworfen waren und die den Alltag ihres Lebens nicht selten unerträglich machten. Lachen über sich selbst, das war und ist die große Leistung jüdischen Humors. Es wurde eben nicht über andere Opfer gelacht, sondern über die eigenen Unzulänglichkeiten.
Offen über Witz, Humor und deren Grenzen zu diskutieren, kann uns heute im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im alltäglichen Zusammenleben weiterhelfen. Juden sind im Großen und Ganzen in die deutsche Gesellschaft integriert. Tabus, die sich über Jahrzehnte auf jüdischer und nichtjüdischer Seite gehalten haben, gibt es kaum noch. Selbst in Krisensituationen wie derzeit im katholisch-jüdischen Verhältnis, wird offen gestritten. Beide Seiten erkennen dabei aber die Grenzen eines sinnvollen Dialogs an. Witz und Humor sind dabei durchaus intelligente und beliebte Kommunikationshilfen. Denn sie können Wahrheiten oft schnell und pointiert verständlich machen. Gerade hier hat das Jüdische in der Vergangenheit seine eigentliche Wirkung entfaltet.
Juden sind also keine Spaßbremsen. Sie weigern sich aber zu Recht, über Vorurteile und die Verharmlosung von Verbrechen in der Nazizeit zu lachen. Ganz im Sinne von Erich Kästner, der einmal schrieb: »Was immer auch geschieht, nie sollst du so tief sinken, von dem Kakao, durch den man dich zieht, auch noch zu trinken.«
Der Autor ist Rechtsanwalt und Journalist und war von 1986 bis 1992 Direktoriumsmitglied und Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.